Bereits seit Jahren sieht sich vor allem das beliebte Onlinegame Roblox mit Vorwürfen der Kinderarbeit und Ausbeutung von Minderjährigen konfrontiert. Eine Recherche von „People Make Games“ – ein Youtube-Kanal für investigativen Videospieljournalismus – offenbarte 2021, dass auch Kinder unter 13 Jahren an Inhalten für das Spiel arbeiten, die monetarisiert werden. „Diese Kinder sind nicht einfach nur Bastler“, sagte Journalist Quintin Smith im Video, „sie verrichten echte Arbeit, die den Wert eines der größten Videospiel-Herausgeber aller Zeiten in die Höhe treibt.“ Im Jahr darauf sprach „The Guardian“ mit Kindern, die an Inhalten für Roblox arbeiten und dafür teilweise nicht einmal vergütet wurden.
Stefano Corazza, Leiter des Roblox Studios, wurde im März im Gespräch mit „Eurogamer“ erneut mit den Vorwürfen konfrontiert. Man könne behaupten, so Corazza etwas kryptisch, dass es sich um Ausbeutung und Kinderarbeit handele. „Oder man könnte sagen: Wir bieten Menschen überall auf der Welt die Möglichkeit, einen Job zu bekommen und sogar ein Einkommen zu erzielen.“ Doch eine zentrale Frage bleibt offen: Ist es schon Kinderarbeit, wenn Kinder ihre Freizeit mit der Kreation von Videospiel-Inhalten verbringen und damit potenziell Geld verdienen?
Auch in Fortnite Creator und Dreams entwickeln Kinder und Jugendliche spielerisch Inhalte, von denen die Unternehmen profitieren. „Diese Vermischung von Spiel und Arbeit lässt sich nicht mehr im Sinne von traditionellen Beschäftigungsverhältnissen beschreiben“, sagt Arbeitsforscher Jonas Ferdinand. Zusammen mit Maximilian Greb und Sarah Fitterer fasste er am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung das Phänomen in einer Analyse unter dem Namen Playbour zusammen: ein Kofferwort aus „play und „labour“, also Spiel und Arbeit.
Es ist das Geschäftsmodell der Wahl für Roblox. Grundsätzlich ist die Plattform kostenlos, doch können Spielerinnen und Spieler Geld ausgeben, das sie zuvor in die virtuelle Währung Robux umwandeln müssen. Damit können sie etwa Accessoires für ihre Avatare oder ganze Spiele kaufen, die Millionen andere Gamerinnen und Gamer entwickeln und die auf dem virtuellen Marktplatz angeboten werden. Viele Erwachsene, aber auch Kinder verbringen Wochen bis Monate damit, diese Inhalte zu programmieren. 4,2 Millionen Entwicklerinnen und Entwickler haben 2022 mit ihren Inhalten Robux verdient.
Roblox stellt den Kindern und Jugendlichen alle Tools kostenlos zur Verfügung, allen voran die Programme zur Entwicklung und die Server, auf denen die Spiele laufen. Doch für Kinder liegen keine vertraglichen Lohnarbeitsverhältnisse vor. Dementsprechend haben sie nichts, das ihre Arbeitsstunden und ihre Vergütung regelt. „Es handelt sich bei Roblox um eines der größten Spielunternehmen der Welt. Aber das Phänomen Playbour ist mit seiner ganzen Komplexität eine riesengroße regulatorische Lücke in Deutschland“, sagt Ferdinand.
Diese Arbeit ist keine klassische Lohnarbeit, aber auch keine Freiberuflichkeit. Da es sich um eine monetarisierte Tätigkeit handelt, sei es zudem weder Freizeit noch Spiel oder Kunst. „Die bisherige Datenlage zeigt, dass das Geld für diese Arbeit nur zu einem sehr geringen Teil an die Entwicklerinnen und Entwickler ausgezahlt wird. Deshalb müssen wir hierbei auch über eine mögliche Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen diskutieren“, sagt Greb.
Roblox lockt Kinder und Jugendliche mit möglichen Aussichten auf hohe Gewinne. Doch die Realität sieht meist anders aus. „Auch wenn Roblox einen dazu ermutigt, Spiele zu kreieren, ist die Wahrscheinlichkeit bei null, ein erfolgreiches Spiel zu machen“, sagte der elfjährige Emil 2021 gegenüber „People Make Games“. Er arbeitete lange an einem eigenen Spiel, das kaum von anderen wahrgenommen, geschweige denn gespielt wurde.
Viele Roblox-Spiele werden erst dann beliebt, wenn sie durch bekannte Streamerinnen und Streamer entdeckt oder durch Werbung oben im Marktplatz platziert werden. Für Werbung müssen Entwicklerinnen und Entwickler jedoch zahlen. Und Kinder haben selten das nötige Geld dafür. Dadurch gehen ihre Spiele unter – und sie werden für ihre Arbeit erst mal gar nicht vergütet. Entwicklerinnen und Entwickler erhalten dann Robux, wenn die Zugänge zu ihren Inhalten gekauft werden. Kostet ihr Spiel etwa 400 Robux, erhalten sie davon nach Rechnung von „Bloomberg“ umgerechnet knapp 1,40 US-Dollar, etwa 1,30 Euro. Für 400 Robux zahlen Spielerinnen und Spieler 5,99 Euro. Das Spiel müsste also sehr erfolgreich sein, damit man damit ernsthaft Geld verdient. Roblox nahm laut einer Statista-Erhebung 2023 fast 2,8 Milliarden US-Dollar ein.
Auf Anfrage verweist Roblox darauf, dass das Unternehmen 2023 741 Millionen US-Dollar an Entwicklerinnen und Entwickler abgegeben habe, die an ihrem offiziellen Entwicklerprogramm teilnahmen. Zudem sei die überwiegende Mehrheit über 18 Jahre alt. Es sei darüber hinaus nicht die Hauptmotivation der Entwicklerinnen und Entwickler, Geld zu verdienen. Eine von Roblox durchgeführte Umfrage im vierten Quartal 2023 habe gezeigt, dass die befragten 6500 Personen den Spaß an der Entwicklung von Inhalten im Schnitt viermal wichtiger als die Monetarisierung ihrer Inhalte bewerteten.
Das Erstellen von Inhalten, sagt Greb vom Berliner Wissenschaftszentrum, kann auch viele positive Aspekte haben: „Es kann ein kreativer Selbstausdruck sein, es kann eine unterhaltsame Erweiterung der Spielerlebnisse sein – und Kinder können Medienkompetenzen im Bereich Animationen und Programmierung erlernen.“ Ferdinand gibt hingegen zu bedenken: „Die Frage ist: Sollte es überhaupt das Ziel sein, dass Kinder und Jugendliche Geld verdienen – oder sollten sie Videospiele nicht lieber dazu nutzen, um sich miteinander zu vernetzen und Spaß zu haben?“