Im Strömungskanal in Potsdam hat Jakob Thordsen im Frühjahr gemerkt, wie schnell er schon wieder unterwegs ist. Die Turbinen dröhnten, das Wasser rauschte nur so an ihm vorbei. „Das war schon krass und auch ein bisschen unheimlich“, sagt der Rennkanute vom Hannoverschen KC. Eine wichtige Erkenntnis gewann der Davenstedter bei dieser Leistungsdiagnose ebenso wie seine Trainer: Es dürfte reichen für die Olympischen Spiele, trotz seines schweren Fahrradunfalls und der Schulteroperation. Thordsen kämpfte sich nach fast einem halben Jahr Zwangspause tatsächlich zurück und fährt im Einer die 1000 Meter. „Mein Ziel ist das A-Finale, alles darüber hinaus wäre ein Bonus“, sagt der 25-Jährige.
Noch vor der Olympia-Einkleidung war der WM-Dritte ganz neu ausgestattet worden. Mit einem K1, ganz im Pink der deutschen Kanu-Flotte. „Das ist es!“, rief Thordsen dem Trainerteam nach der ersten Probefahrt sofort zu. Der Einer aus Karbon (Kosten in der normalen Variante etwa 5500 Euro) war speziell für den 1,98 Meter großen HKC-Fahrer angepasst worden. „Zum Beispiel mit dem Stellbrett muss das alles ganz genau in Handarbeit gemacht werden. Es fährt sich sehr schnell und super“, so Thordsen, „vor allem verzieht es sich fast nicht in der Belastung, ich bin megaglücklich.“
Auch der Sennheiser-Mechatroniker mag sich nicht verbiegen. Er will Spaß haben an seinem Sport, das ist das Wichtigste. Den hat er längst wieder nach seinem üblen Sturz. Damals war ihm die Gelenklippe des Schulterblatts gerissen. „Ich dachte bei der Diagnose sofort, jetzt ist alles aus“, so Thordsen. Landestrainer Jan Francik, den er umgehend informierte, glaubte an einen schlechten Scherz. Thordsen verschwand monatelang von der Bildfläche, mühte sich nach der OP im Kraftraum und unternahm erste vorsichtige Versuche in seinem Boot im Schwimmbecken des Olympiastützpunkts. Ohne Paddel, dafür mit einer „Schwimmnudel“. Um sich wieder anzunähern. „Jakob hat das Gefühl fürs Wasser sozusagen im Blut, sonst hätte er diesen Rückstand nicht aufholen können“, lobt Francik. Bei den nationalen Qualifikationsrennen gab Thordsen alsbald wieder den Ton an und behauptete sich als Nummer eins über die 1000 Meter: „Ich merke zwar, dass mir noch etwas Substanz fehlt, aber ich kann bis zu den Spielen noch einiges aufholen, es wird immer besser.“
Das habe er den Konkurrenten voraus, sagt der Landestrainer: „Bei Olympia haben wir die sehr seltene Konstellation, dass gleich sechs Mann um Gold fahren. Aber von denen ist Jakob der Einzige, der noch schneller fahren kann, der noch Potenzial hat – die anderen sind am Limit.“ Der Druck ist enorm, aber der gebürtige Hamburger lächelt ihn so gut wie möglich weg: „Ich bin in diesem Jahr weitgehend unterm Radar geflogen, mit mir dürfte keiner rechnen. Das ist vermutlich gut so.“
Ganz genau hat seine radsportbegeisterte Familie seinen ersten Olympiastart am 7. August auf dem Schirm, die Tickets sind längst gebucht. Auch Freundin Alyssa Meyer kommt mit, die Ruderin wäre am liebsten jedoch selbst gestartet. Im Deutschland-Achter verpasste sie das Ticket allerdings in der Nachqualifikation (mit Lena Osterkamp vom DRC Hannover). „Diesen Traum hätten wir uns gern gemeinsam erfüllt“, sagt Jakob Thordsen. 2028 könnte es eine neue Chance geben, bei den Spielen in Atlanta. Coach Francik rechnet sogar damit, dass der 1,98-Meter-Mann anschließend zwei weitere olympischen Zyklen fahren kann: „Bei einem so ungewöhnlichen Athleten würde mich das nicht wundern.“ Thordsen sieht es relativ entspannt: „Ich habe so viel Spaß, es ist überhaupt kein Ende in Sicht.“