Im späten Mittelalter hatten Handwerker im Rheinland und den Niederlanden entdeckt, dass sich aus örtlichem Ton besonders haltbare Gefäße herstellen ließen. Brannte man diesen bei mehr als 1200 Grad, waren die Krüge und Kannen auch ohne Glasur wasserdicht – und noch dazu alterungsbeständig, säurefest und geschmacksneutral. Keramik aus Raeren, Köln und Siegburg entwickelte sich rasch zum Exportschlager. Über niederländische Häfen wurde sie bis Amerika verschifft. „Rheinisches Steinzeug war die Tupperware der Renaissance“, sagt Anne Gemeinhardt, Direktorin des Museums August Kestner.
In Kooperation mit dem Töpfereimuseum Raeren zeigt dieses jetzt eine opulente Ausstellung mit dem etwas kryptischen Titel „Bartmann, Bier und Tafelzier“. Bartmänner – das sind besondere Krüge, die das Relief eines bärtigen Gesichtes zierte wie ein Markenlogo.
Alte niederländische Krüge? Das klingt nach einer Feinschmeckerausstellung für eine winzige, hoch spezialisierte Klientel. Nach Nischenkultur. Dabei erzählt die Ausstellung – ausgehend von Ton, Steine, Scherben – auf leise Art spannende Geschichten. Es geht um Technologie und globale Wirtschaftsgeschichte, um Alltagsgegenstände, bürgerliches Prunkbedürfnis und um große Kunst. An den Wänden hängen 72 Reproduktionen von Gemälden niederländischer Meister. In Pieter Bruegels berühmter Bauernhochzeit taucht Steinzeug ebenso auf wie in einem Stillleben von Clara Peeters aus dem Jahr 1611 oder in Gemälden von Hieronymus Bosch. Heiligenbilder, Küchenszenen, Genremalerei – die charakteristischen Gefäße sind in der Kunst jener Jahrhunderte omnipräsent. Zechende Bauern schwingen rustikale Krüge, Adel und Klerus tafeln mit wappenverzierten Prunkgefäßen.
Als hätten sie Wimmelbilder vor sich, können Besucher in den teils großformatigen Gemälden nach Krügen und Kannen suchen und diese dann mit den Originalgefäßen in den Vitrinen vergleichen. Das aufstrebende Bürgertum gab seinerzeit nicht nur prachtvolle Gemälde in Auftrag, sondern auch reich verzierte Prunkgefäße. In den Niederlanden und im Rheinland etablierten sich bald Töpferdynastien wie die Familie Mennicken, die kostbare Steinzeuggefäße kreierten. So kommt es, dass sich einerseits kunstvolle Kannen in den Bildern finden – und andererseits gängige Bildmotive auch auf den Gefäßen auftauchen.
An verschiedenen Stationen dürfen Besucher Artefakte selbst in die Hand nehmen. Heute haben diese meist eine dekorative Funktion. Als Gebrauchsgegenstände sind sie aus unserem Alltag längst verschwunden. Doch viele Kurse zum Fermentieren und Haltbarmachen von Lebensmitteln mit Steinzeug sind im Begleitprogramm der Ausstellung bereits ausgebucht. Als nachhaltiges, ökologisches Material erlebe Ton derzeit eine kleine Renaissance, sagt Kuratorin Mirjam Brandt. Es sei die Rückkehr eines alten Kulturgutes: „Steinzeug ist die neue Tupperware.“