Es läuft auch ohne
Ein Leben ohne eigenes Auto – das war für unseren Autor Sebastian Hoff lange Zeit schwer vorstellbar.Doch inzwischen kommt er sehr gut ohne aus.

Es geht doch: Sogar den Weihnachtsbaum hat Sebastian Hoff schon mit dem Fahrradanhänger transportiert.Foto: Sebastian Hoff

Wie fast alle Kinder meiner Generation bin ich mit Autos groß geworden – und oft auch in ihnen. Meine Eltern besaßen zeitweise drei. Für Ausflüge, Besuche oder Einkäufe wurde selbstverständlich der Motor angeworfen. In den Urlaub ging’s mit dem Campingbus, oft über Tausende Kilometer.

Kaum 18 Jahre alt, erwarb ich den Führerschein. Die erste längere Fahrt ging nach Paris – stilecht im Citroen 2CV, im Volksmund als Ente bekannt. Schon als Student musste es ein eigenes Auto sein. Der gebrauchte Golf kostete nur 1000 Mark, leistete aber erstaunlich lange gute Dienste. Ich jobbte als Auslieferungsfahrer und steuerte in meiner ersten Arbeitsstelle einen Kleintransporter. Mit der eigenen Familie wuchsen später die Autos und wurden zu Elterntaxis.

Ich weiß, wie praktisch es ist, mit dem eigenen Wagen spontan mal irgendwohin zu fahren. Damit sperrige Dinge und mehrere Menschen zu transportieren. Bei aufgedrehter Musik laut singend auf Straßen entlang der Mittelmeerküste zu cruisen. Im Sonnenaufgang auf die schneebedeckten Alpen zuzufahren. Stundenlange Gespräche zu führen, während die Landschaft an einem vorbeigleitet. Keine Frage: Das eigene Auto ist flexibel einsetzbar, bietet Freiheit und Komfort und ermöglicht kleine Abenteuer.

Andererseits schlich sich auf den vielen Fahrten immer stärker ein Störgefühl ein: Sich ständig konzentrieren zu müssen, ist anstrengend. Der Verkehr wurde im Laufe der Jahre hektischer. Auf eintönigen Autobahnfahrten zählte ich die Kilometer. Immer wieder Beinahe-Unfälle. Ineinander verkeilte Fahrzeuge auf Autobahnen mit Toten. In der Stadt nervtötendes Stopp-and-Go. Parkplatzsuche. Und außerdem kam ja noch die Umweltdiskussion auf. Zuerst war es das Waldsterben, später ging’s ums Ganze: Der Klimawandel bedroht uns Menschen inzwischen existenziell und global. Und das Auto ist Teil des Problems.

Auf meinen Fahrten fuhr deshalb immer häufiger das schlechte Gewissen mit: „Kannst du das noch verantworten?“, flüsterte es mir ins Ohr. „Geht’s nicht anders?“, fragte es mich fordernd. „Ja, klar“, antwortete ich eingeschüchtert. „Aber wenn es schon mal da ist. Außerdem habe ich es doch eilig und und – und überhaupt: Auf dem Rückweg kann ich noch ’ne Ladung Bio-Kompost vom Wertstoffhof mitbringen!“ Fortan meldete sich der charmante Bruder, der gute Wille, und hatte mehr Erfolg: Mit dem Fahrrad war ich schon immer gern gefahren, das tat ich nun öfter. Einen Kinderanhänger hatten wir ohnehin; damit ließen sich auch Einkäufe und sogar Weihnachtsbäume transportieren. Für weitere Fahrten wählten wir die Bahn. Wenn es ohne Auto nicht ging, nutzten wir Carsharing. Als eine teure Reparatur anstand, verkauften wir das eigene Auto. Meist kamen wir gut zurecht. Nur manchmal blieben die Kinder weinend im Haus zurück, weil ich schnell das gemietete Auto abholen musste. Bahnfahrten mit viel Gepäck und einem Wickelkind sind nicht vergnügungssteuerpflichtig. Als wir dann das alte Auto vom Schwiegervater angeboten bekamen, war unser guter Wille gebrochen.

Doch die Kinder wurden älter und die Fahrten mit ihnen seltener. Das Radeln machte zunehmend Spaß. Ich genoss und genieße noch immer die Bewegung an der frischen Luft und halte mich damit körperlich fit. Bei Regen und Kälte schützt passende Kleidung. Viele Ziele in der Stadt sind mit dem Fahrrad sogar schneller zu erreichen als mit dem Auto. Das stand oft wochenlang ungenutzt herum, Kosten fielen trotzdem an. Als wir eine neue Batterie kaufen mussten, weil wir den Wagen zu selten fuhren, war das Maß voll – kurzerhand verschenkten wir ihn an Verwandte.

Das ist nun bald zehn Jahre her. Vermisst habe ich das eigene Auto an keinem einzigen Tag. Im Gegenteil: Es fühlte sich wie eine Befreiung an. Ich erlebe seltener stressige Fahrten, muss keine Parkplätze suchen, teure Reparaturen und regelmäßige TÜV-Termine gehören der Vergangenheit an. Ein Auto kostet im Schnitt 400 Euro im Monat – ohne dass es einen Meter bewegt wird. Für das Geld können wir uns locker hochwertige Fahrräder leisten und ab und an ein Auto leihen.

Ob Lastenrad, E-Auto oder Transporter: Beim Carsharing habe ich Zugriff auf verschiedene Fahrzeugtypen. Mit dem Deutschlandticket ist das Bahn- und Busfahren günstig und flexibel. Für die letzte Meile nutze ich das Faltrad oder einen E-Scooter. Als Städter profitiere ich von einem guten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln und einem dichten Takt. Menschen, die auf dem Land wohnen, haben es da deutlich schwerer.

Wenn es mal in die Ferne gehen soll, nehme ich den Zug. Damit sind erstaunlich viele Ziele schnell zu erreichen. Nach Wien in rund acht Stunden – das muss man mit dem Auto erst einmal schaffen.

Klar, auf unangenehme Überraschungen wie verpasste Anschlüsse muss ich vorbereitet sein, aber wie oft habe ich früher mit dem Auto im Stau gestanden und kam spät und erschöpft am Ziel an? Auf langen Bahnfahrten kann ich lesen, schlafen, arbeiten, essen oder verträumt aus dem Fenster schauen. Und nicht selten lerne ich nette Menschen kennen, mit denen ich ins Gespräch komme.

Was die Umweltbilanz angeht: Da darf sich jetzt ruhig das schlechte Gewissen melden! Ich bin fast ausnahmslos klimafreundlich unterwegs – auch ohne das Gefühl, auf etwas verzichten oder mich einschränken zu müssen.
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