So werden Hannovers Moore zum Klimaretter
Das Wasser ist in das Bissendorfer Moor zurückgekehrt, zwei weitere Projekte gehören zur „Moorstrategie“.
Die Region investiert Millionen – und wird zum Großgrundbesitzer.

Auch die dürren Bäume gehören zum Konzept: Regions-Umweltdezernent Jens Palandt (rechts) und Marcel Hollenbach von der Unteren Naturschutzbehörde im renaturierten Bissendorfer Moor.Fotos: Tim Schaarschmidt
Hannover/Wedemark. Die Lebenszeit der beiden Fichten auf dem Torfwall läuft ab, die Äste sind verkümmert, zu ihren Füßen liegt bereits jede Menge Totholz. Auf den ersten Blick kein gutes Zeichen für Klima- und Naturschutz, oder? Marcel Hollenbach von der Unteren Naturschutzbehörde kennt die Frage – und muss schmunzeln. „Im Moor ist das anders“, erklärt der 44-Jährige, der sich über absterbende Bäume freut. Denn sie sind das Signal, dass die Maßnahmen im Bissendorfer Moor wirken.„Moore sind einer der wichtigsten Hebel der Region Hannover für den Klimaschutz“, sagt Jens Palandt (Grüne) mit Blick auf die Tümpellandschaft, die sich vor ihm erstreckt. Der Umweltdezernent hat zusammen mit Hollenbach an diesem Tag ausnahmsweise den Pfad, der zum Aussichtspunkt Südturm führt, verlassen und ist im Naturschutzgebiet durch hüfthohes Pfeifengras gestiefelt. Zwischendurch blitzt lila blühende Heide auf, die Hosenbeine werden schnell feucht, der Boden federt und schmatzt. So soll es sein.

Seit den 1980er-Jahren schon ist die Hannoversche Moorgeest Naturschutzgebiet. In den vergangenen 14 Jahren wurden 17,5 Millionen Euro investiert, um große Teile der 2200 Hektar zu renaturieren. „Wir müssen die Moore vernässen“, erklärt Palandt. Denn ein trockenes Moor ist Gift für das Klima. Durch die Reaktion des im Torf gespeicherten Kohlenstoffs mit Sauerstoff setzt es CO₂ frei. „Landesweit stammen 17 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus entwässerten Mooren, in der Region sind es sogar 20 Prozent.“

Im Bissendorfer Moor wurde die Kehrtwende eingeleitet. Marcel Hollenbach tastet sich in Gummistiefeln an den Rand des Tümpels. Zu seinen Füßen erstrecken sich grüne Torfmoosmatten, er versucht vorsichtige Hüpfer, der Boden gibt nach. „Das ist Schwungrasen“, erklärt der Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde den schwankenden Untergrund.

Der Weg zu dieser fast archaisch wirkenden Landschaft ist nicht einfach. „Vorher war hier überall Wald“, erklärt der Experte und zeigt auf eine dichte Baumreihe am Horizont, die sich auf der in den vergangenen Jahrzehnten trockengelegten Fläche entwickelt hat. Bäume verdrängen moortypische Pflanzen, entziehen dem Boden weiter Wasser. „Ein Teufelskreis. Da müssen wir eingreifen.“ Und Bäume fällen.

Mit großen Baggern, die auf 30 Meter breiten „Matratzen“ aus Stahl rangieren, wird anschließend der Torf umgelagert und zu kilometerlangen Wällen geformt. „Wir schlagen immer wieder neue Schneisen, bilden Mosaike“, beschreibt Hollenbach die Methode. In den entstandenen Tümpeln sammelt sich dann das Wasser. Dass Fichten und Kiefern diese Feuchtigkeit im ehemals trockenen Moor nicht vertragen und verkümmern, müsse man als Beitrag für den Klimaschutz akzeptieren.

Niedersachsen ist Moorland. Die Region Hannover hat deshalb eine „Moorstrategie“. Die ist nötig, weil in den vergangenen Jahrzehnten der Großteil der Flächen für Landwirtschaft und Torfabbau entwässert wurde. Umweltdezernent Jens Palandt sieht Moorschutz als „politischen Auftrag“, 2019 war er einer der zehn Punkte des Beschlusses „Klima in Not“ der Region. Dazu muss man wissen: Intakte Moore bedecken zwar nur rund drei Prozent der Erdoberfläche, aber – das ist in den Infos zur „Moorstrategie“ nachzulesen – „sie speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen auf der zehnfachen Fläche“.

Die Vernässung der Torfgebiete ist also eine Überlebensstrategie. Mit vielen anderen Vorteilen: „Nasse Moore halten das Wasser länger, sie haben bei Starkregen eine Schwammwirkung. So können wir auch Hochwasser abpuffern“, sagt Palandt. Außerdem bildeten sie wertvolle Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, speichern Wasser für Trockenzeiten, kühlen die Landschaft in Hitzesommern.

Das lässt sich die Region etwas kosten. Etwa 40 Prozent der Mittel für die Hannoversche Moorgeest flossen in den Aufkauf von Moorparzellen von Privatleuten. „Hier waren es etwa 1200 Grundstücke“, rechnet Palandt vor. „Die Verhandlungen dazu verlaufen meistens unter dem Radar, die Akzeptanz ist überwiegend groß.“

Hindernisse gebe es trotzdem manchmal: „Wenn Menschen nostalgische Erinnerungen an das Torfstechen mit ihrem Großvater haben“, zählt Hollenbach als Beispiel auf. Andere wollen das Grundstück behalten, weil man Torf im Krisen- oder Kriegsfall auch als Heizmaterial verwenden könne. Oft gehe es auch um Jagdrechte, die Grünlandnutzung oder die Tradition, zehn Stämme pro Jahr aus dem Waldstück zu holen.

Die Region hat in einem aufwändigen Prozess den Wert von Moorparzellen ermittelt, zahlt im Schnitt 65 bis 70 Cent pro Quadratmeter. Im Rahmen der Flurbereinigung werden vor allem Landwirtinnen und Landwirten auch Ausgleichsflächen angeboten. Eine Option ist auch ein „Gestattungsvertrag“ bei dem Menschen das Grundstück behalten, für 60 Prozent des Kaufpreises der Naturschutzbehörde aber 30 Jahre lang Maßnahmen erlauben. 95 Prozent der Flächen konnten so einvernehmlich gesichert werden.

Letztes Mittel in Einzelfällen ist das Instrument der „Duldung“ – nach dem Bundesnaturschutzgesetz ergibt sich aus der Lage eines Grundstückes im Moor eine „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“. So weit komme es aber nur, wenn Erbengemeinschaften zerstritten oder Eigentümer nicht zu ermitteln seien.

Im Bissendorfer Moor sehen Spaziergängerinnen und Wanderer vom Südturm aus bereits die Ergebnisse des Projektes „Life+“ unter Federführung des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). „Wir gehen alle Hochmoore in der Region an“, kündigt Palandt an.

Das Tote Moor östlich des Steinhuder Meeres sei im Fokus. Allerdings gebe es dort noch Unternehmen, die weiter Torf abbauen. Dem Umweltdezernenten kann das nicht gefallen. „Wir sind im Austausch“, sagt der 58-Jährige zurückhaltend, sein Ziel ist die Renaturierung von 2300 Hektar Fläche. Seit 2017 werden Flächen aufgekauft, Entwässerungsgräben geschlossen. „Das ist auch wichtig für den Erhalt des Steinhuder Meeres“, sagt er über das beliebte Touristenziel, dessen Wasserstand seit Wochen bedrohlich niedrig ist. „Wir erleben dort den Klimawandel im Zeitraffer.“

Deshalb sei auch das Projekt „RePeat“ wichtig: Für 34 Millionen Euro wollen EU, Land und Region bis 2035 Altwarmbüchener Moor, Rehburger Moor und Trunnenmoor vernässen – denn auf den 1840 Hektar werden derzeit mehr als 40.000 Tonnen Treibhausgase im Jahr ausgestoßen. „Peat“ ist das englische Wort für Torf.

„Unsere Moorstrategie ist ein großer Wurf“, betont Palandt. Und sie macht die Region auch zum Großgrundbesitzer: 1,6 Prozent der gesamten Regionsfläche ist inzwischen im Besitz der Verwaltung. „Alles für Natur- und Klimaschutz“, versichert Palandt.

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