Die beiden Hannoveranerinnen sind zum ersten Mal im Modekeller in der Nordstadt. Seit März gibt es den Umsonstladen in der Windthorststraße, in dem Kleidung kostenlos mitgenommen werden kann. Der Modekeller öffnet mittwochs von 16 bis 18 Uhr und freitags von 14 bis 16 Uhr. Hinter dem Projekt steht der Stadtteilverein „Was mit Herz“. Die Idee: Teilen statt kaufen.
Das Konzept, gebrauchte Kleidung günstig weiterzugeben, ist nicht neu. Es gibt das Austausch in der List, Frau Schröder in Linden oder edelkreis in der Oststadt. Fairkauf hat gleich mehrere Standorte in der Region. Das Besondere am Modekeller: Hier hat die Kleidung keinen Preis. Solidarische Spenden in Form von Geld oder Kleidung sind erwünscht, aber kein Muss.
Ein Pappschild an der Wand sagt: „Gib, was du hast.“ Am Spiegel hängt ein weiteres: „Max. 3 Teile.“ Weil sonst die Gefahr besteht, dass Menschen das Solidaritätsprinzip ausnutzen und tütenweise Kleidung mitnehmen? „Das Limit haben wir anfangs festgelegt, aber inzwischen achten wir kaum noch darauf“, sagt Milena Mattern von „Was mit Herz“. Die 32-Jährige gehört zu den Ehrenamtlichen, die den Modekeller organisieren.
„Es wird viel mehr gebracht als mitgenommen“, sagt Mattern. „Wir kommen mit den Kleiderspenden kaum hinterher.“ Auch an diesem Nachmittag fragen drei Personen, wann und wo sie Klamotten abgeben können. Eine von ihnen ist Ina Buchrot (37), die mit ihrer Schwester ihren Kleiderschrank ausgemistet hat. „Das sind teilweise richtig gute, hochwertige Sachen“, sagt sie. Statt sie zu verkaufen, will sie damit den Modekeller unterstützen.
Ihr gefällt der zirkuläre Effekt des Projekts. „Mode macht Spaß, und hier kann man Neues ausprobieren – auch Sachen, die nicht zum eigenen Stil passen.“ Was man doch nicht trägt, bringt man einfach zurück. „Ein erweiterter Kleiderschrank eben“, sagt Buchrot.
Der Modekeller trifft offenbar einen Nerv. „Es läuft deutlich besser, als wir erwartet haben“, sagt Mattern. Obdachlose, Geflüchtete, Studierende und voll Berufstätige kommen laut der Ehrenamtlichen hierher. „Es ist ein bunter Mix“, sagt sie.
Das trifft auch auf das Sortiment zu. Manches ist skurril – wie ein Ballermann-Deutschlandshirt mit pseudolustigem Saufspruch, Merchandise von DJ Paul Kalkbrenner oder ein quietschblaues Hemd mit roten Rosen.
Am Rosenhemd bleibt Besucherin Antonia kurz hängen. „Irgendwie ist das auch trashig-geil“, findet sie. Kurz darauf entdeckt sie ein orange-marineblau gestreiftes Kleid und ist begeistert. „Das ist süß!“, schwärmt sie und verschwindet hinter dem Vorhang der kleinen Umkleidekabine.
Neben Alltagsmode hat der Modekeller auch eine überschaubare Leihabteilung mit festlicher Kleidung – für Hochzeiten, Bewerbungsgespräche oder Theaterbesuche. „Solche Sachen liegen sonst ein Jahr ungenutzt herum“, sagt Mattern. Das Prinzip „Teilen statt Kaufen“ soll ein Zeichen sein gegen Überkonsum und Fast Fashion. „Wir wollen zeigen, dass man modisch experimentieren kann, ohne ständig Neues zu kaufen“, sagt sie.
Verzichten Menschen, die hierherkommen, komplett auf Fast Fashion? Viele Besucher und Besucherinnen bejahen das. Dass immer noch deutlich mehr gespendet wird als mitgenommen, zeigt aber auch, dass das Prinzip des Kreislaufs nur bedingt aufgeht.
Natürlich deckt der Modekeller nicht jeden Bedarf ab. Wer bestimmte Outfits sucht, hat nur eine geringe Chance, fündig zu werden. Da ist die Auswahl im Onlineshop oder Kaufhaus deutlich größer. Der Eindruck: Das Publikum kommt, um überrascht zu werden und sich auszuprobieren.
Antonia hat bei ihrem ersten Besuch sofort Erfolg. Zwei Kleidungsstücke nimmt sie mit – das gestreifte Kleid und ein legeres, olivgrünes Leinenhemd. Vom Kleid ist sie am Ende aber noch nicht vollends überzeugt. Eventuell sei ihr das zu eng, sagt sie – nimmt es aber trotzdem mit. „Ich muss es zweimal anziehen. Dann weiß ich, ob es mir gefällt.“ Wenn nicht, bringt sie es einfach wieder zurück in den Modekeller.