Maggie Hlebarova, die auf TikTok @dearmags heißt, hält freudestrahlend eine Pulverdose in die Kamera: „Lasst mich euch sagen: Das ist ein echter Gamechanger.“ Das Gefäß enthält das Extrakt eines Vitalpilzes, des Shiitake, das ihre allgemeine Gesundheit „deutlich verbessert“ habe. Ihr Körper sauge es auf und gebe ihrem Immunsystem „einen ordentlichen Schub“.
Es ist nicht der einzige Beitrag auf Social Media, der die wundersame Wirkung von Vitalpilzen anpreist. In anderen Videos heißt es, manche dieser Pilze könnten lebensverlängernd wirken, sogar Krebs heilen. Was ist dran an diesen hoffnungsvollen Versprechen?
Pilze spielen seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der Medizin. „Ohne Pilze gäbe es viele Antibiotika gar nicht“, gibt Marc Stadler, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Wirkstoffe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, zu bedenken. Das erste Antibiotikum, Penicillin, basierte auf dem Wirkstoff eines Pilzes: Penicillium notatum. Heute wird es bei bakteriellen Erkrankungen wie Lungenentzündungen eingesetzt.
Vitalpilze – auch als Medizinal- oder Heilpilze bekannt – haben ihren Ursprung in Asien. Sie werden vor allem in der ayurvedischen und traditionellen chinesischen Medizin eingesetzt. Pilzsorten wie Reishi, Shiitake und Löwenmähne gelten dort als natürliche Arzneimittel. Sie enthalten neben Vitaminen, Proteinen, Spurenelementen, Antioxidantien und Ballaststoffen auch sogenannte bioaktive Bestandteile – also komplexe Kohlenhydrate wie Beta-Glucane, Triterpene und Phenole. Während die Pilze früher geduldig in der Natur gesammelt werden mussten, werden sie heute oft massentauglich in Pilzfarmen kultiviert und dann zu Pulvern, Extrakten oder Tabletten weiterverarbeitet und vermarktet.Mit der gesundheitsfördernden Wirkung der Vitalpilze haben sich in der Vergangenheit zahlreiche Studien auseinandergesetzt, allen voran aus Asien. Stadler gibt jedoch zu bedenken, dass die Beurteilung der Forschungsarbeiten schwierig sei. Denn aufgeschlüsselt, welche Wirkstoffe genau in den getesteten Pilzpräparaten stecken, werde dabei selten. In manchen Mitteln fanden sich schon Verunreinigungen und Schadstoffe wie Schimmelpilztoxine, die gesundheitsschädlich sein können.
Das Problem bei vielen Vitalpilz-Präparaten sei auch, dass sie nicht standardisiert seien, so Stadler. Das heißt, es fehlen etwa Toxizitätsstudien, die die Schädlichkeit der Wirkstoffe überprüfen. Oder es gibt nur Studien an Tieren und mit Zellkulturen, die nicht auf den Menschen übertragbar sind. Nicholas P. Money, Pilzbiologe von der Miami University, geht mit den Vitalpilzen ebenfalls streng ins Gericht. „Behauptungen über die wundersamen Eigenschaften von ‚funktionellen Pilzen‘ entbehren jeglicher wissenschaftlichen Grundlage.“ Money rät: „Verbraucher sollten bei Behauptungen über den klinischen Nutzen von Heilpilzen sehr vorsichtig sein.“ Dass die Präparate ihnen nachhaltig schaden, hält er für eher unwahrscheinlich – genauso aber eben auch eine gesundheitsfördernde Wirkung. „Wenn sich Menschen nach dem Verzehr von Pilzextrakten energiegeladener fühlen, können sie das dem Placebo-Effekt zuschreiben.“In Deutschland werden Vitalpilz-Präparate als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Das heißt, anders als bei Arzneimitteln müssen sie vor ihrer Vermarktung keine mehrjährigen mehrstufigen Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien durchlaufen. „Der Begriff Vitalpilze ist damit ein reiner Marketingbegriff. Er belegt noch keine Wirkung“, stellt Niklas Klinkhammer von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen klar. „Nahrungsergänzungsmittel sind rechtlich gesehen ganz normale Lebensmittel“, so der Experte weiter. Das bedeutet, die Hersteller dürfen anders als bei Arzneimitteln nicht damit werben, dass ihr Produkt vor Krankheiten schützt oder es diese lindert. „Das wird aber oft in einen Topf geworfen – gerade auf Social Media.“ Dort bewegen sich Firmen oft in einer rechtlichen Grauzone: Indem sie Nutzerinnen und Nutzer dafür bezahlen, für ihre Produkte zu werben und diese Werbung als Erfahrungsbericht tarnen, kann das Bild entstehen, diese Wirkungen seien wirklich nachgewiesen. „Den Menschen wird dabei eine falsche Hoffnung suggeriert“, sagt Klinkhammer.
Der Verbraucherschützer rät, vor allem bei schweren Erkrankungen auf Selbsttherapien mit Vitalpilzen zu verzichten. „Stattdessen sollten Verbraucherinnen und Verbraucher vorher mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin Rücksprache halten und evidenzbasierte, geprüfte Arzneimittel vorziehen.“ Wer nach dem Verzehr von Vitalpilz-Präparaten unerwünschte Nebenwirkungen bei sich feststellt, sollte ebenfalls in einer Arztpraxis vorstellig werden und das Produkt der Lebensmittelüberwachung melden, gegebenenfalls auch bei der Meldestelle für Arzneimittelnebenwirkungen.Lobpreisungen auf Social Media sollten jeder grundsätzlich hinterfragen. „Man sollte sich klarmachen, dass dies meist keine Experten auf dem Gebiet sind“, sagt Klinkhammer. „Also lieber skeptisch sein als einmal zu leichtgläubig.“