Popspektakel im Glitzerraumschiff
Heute findet das Eurovision Song Contest-Finale in Basel statt: Hat Deutschland eine Chance?

Der Este Tommy Cash zieht mit „Espresso Macchiato“ Italienklischees durch den Kakao.Foto: IMAGO/IPA/ABACA
Hannover. Wir befinden und im Jahr 2025. Ganz Europa befindet sich im Klammergriff multipler Krisen. Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Partyfreunden bevölkertes Glitzerraumschiff hört nicht auf, der allgemeinen Tristesse Widerstand zu leisten.

Es landet in diesem Jahr im schweizerischen Basel, quasi auf neutralem Boden. Dort geht nach dem Sieg des pinkfarbenen Schweizer Drehtellervögelchens Nemo („The Code“) im Vorjahr der 69. Eurovision Song Contest über die Bühne. Mit dabei: 36 Bewerber um die europäische Popkrone. Und dazu noch Deutschland.

Im Zentrum des hiesigen Interesses steht ein ESC-Veteran, der sich anschickt, Ralph Siegel in Sachen ESC-Besessenheit den Rang abzulaufen: Stefan Raab will das Geschwisterduo Abor & Tynna, das mit seinem Elektropopkracher „Baller” für Deutschland ins Rennen geht, heute zum Sieg führen.

■ Wie politisch wird dieser ESC?

Turin 2022 und Liverpool 2023 standen im Zeichen der Solidarität mit der geschundenen Ukraine. 2024 in Malmö dann geriet der ESC teils zur Mobbingshow überdrehter Teilnehmer gegenüber der israelischen Sängerin Eden Golan wegen des Gaza-Krieges. Die ESC-Verantwortlichen haben neue Benimmregeln aufgestellt, Backstage-Schutzzonen und eine Hotline für Drangsalierungsopfer eingerichtet. Für Israel geht die 24-jährige Yuval Raphael ins Rennen, eine Überlebende des Hamas-Blutbads am 7. Oktober 2023. Auch sie rechnet mit massivem Gegenwind. Aber: „Mir macht nichts mehr Angst.“

■ Wer gehört zu den
Favoriten?

Irgendwo in den schwedischen Wäldern muss eine geheime Hitfabrik stehen, in der Benny Andersson von ABBA ESC-Hits in Serie bäckt. Schon wieder Schweden! Das Trio KAJ feiert in seinem Polka-Ohrwurm „Bara bada bastu“ (Einfach in die Sauna gehen) die Segnungen eines Schwitzbades und gilt (auch wegen gut 40 Millionen Streams bei Spotify) bei den Buchmachern als haushoher Favorit. Dahinter folgt der österreichische Countertenor JJ („Wasted Love“). Hoch gehandelt werden auch der Niederländer Claude mit der Schmerzensschnulze „C‘est La Vie“ – und Israel.

■ Wie stehen unsere
Chancen?

Ein österreichisches Geschwisterpaar singt todeshippen Elektropop für Deutschland. Und das – erstmals seit 2007 – mal wieder auf Deutsch. Das erfreut Traditionalisten. Auf eine Mittelfeldplatzierung für Deutschland darf man hoffen.

■ Welche Rolle spielt Raab?Der Kölner Kachelgrinser sieht sich als „Ideengeber” – und will gewinnen. „Nur daran lasse ich mich messen“, sagt er. Zur Erinnerung: Alle ESC-Beiträge unter seiner Mitwirkung erreichten bisher die Top Ten. Zwischen den ESC-Halbfinals am 13. und 15. Mai war Raab am 14. Mai um 20.15 Uhr mit einer eigenen ESC-Show bei RTL auf Sendung („Chefsache ESC 2025“). Der NDR zeigt die Dokumentation „Stefan Raab: Mein ESC“ (seit 12. Mai in der ARD-Mediathek).■ Gibt es Seltsamkeiten?

Aber sicher! Der Este Tommy Cash zieht mit „Espresso Macchiato“ Italienklischees durch den Kakao. Die finnische Discohaubitze Erika Vikmann singt wenig subtil „Ich komme“ (auf Deutsch). Und die maltesische Sängerin Miriana Conte musste ihren Song „Kant“ (Gesang) umformulieren, weil das Wort der BBC zu sehr nach dem vulgären „Cunt“ klang.

■ Wer tritt im Umfeld auf?

Moderiert werden die ESC-Halbfinals von der Schweizer ESC-Veteranin Sandra Studer (56, Fünftplatzierte 1991) und der Komikerin Hazel Brugger (31). Im Finale werden beide von Michelle Hunziker (teilweise 48) unterstützt.

■ Und Russland?Russland ist raus. Die Europäische Rundfunkunion hat das Land 2022 suspendiert, ebenso wie Weißrussland. Wladimir Putin hat einen Konkurrenz-Contest ausgerufen: Der Wettbewerb „Intervision“ mit angeblich 25 Teilnehmerländern (etwa China, Brasilien, Indien, Saudi-Arabien und Südafrika) soll im Herbst über die Bühne gehen. Voraussichtlich ohne Stefan Raab.



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