Hannovers berühmte Kutschen ziehen um
Die vier historischen Karossen aus dem Historischen Museum werden ab Juli in Herrenhausen ausgestellt. Der Umzug ist eine Arbeit für Spezialisten.

Millimeterarbeit: Im Vorfeld wurden alle Türen und Tore genau vermessen, damit es keine unliebsamen Überraschungen beim Herausrollen der Kutschen aus dem Historischen Museum gibt.
Hannover. Die Kabine schaukelt, Räder und Gestänge knarzen, als die Männer die goldene Kutsche ins Schlossmuseum schieben. Die Türen zum Westflügel sind weit geöffnet, dennoch bleibt an den Seiten kaum Platz zwischen Kutsche und Mauer. Auch in der Höhe passt das Gefährt aus dem 18. Jahrhundert gerade so durch den Eingang.

Matthias Szarata verzieht keine Miene, gibt seinen Mitarbeitern präzise Handzeichen – und dann ist es geschafft: Die letzte der vier Prachtkutschen aus dem Historischen Museum in der Altstadt steht an diesem Donnerstagvormittag in ihrem neuen Ausstellungsraum in Herrenhausen. Die Männer lächeln erleichtert. „Man muss in dem Job immer die Ruhe bewahren“, sagt Szarata, Kunstinspektor bei der Logistikfirma Hasenkamp.

Die Stadt Hannover hat aus der Not eine Tugend gemacht. Das Historische Museum am Hohen Ufer ist ein Sanierungsfall. Die Bauarbeiten werden sich voraussichtlich bis 2030 hinziehen. Seit einiger Zeit steht fest, dass auch die große Kutschenhalle erneuert werden muss und dass die Gefährte dort nicht bleiben können. „Wir wollten die historischen Kutschen aber gerne wieder der Öffentlichkeit präsentieren“, sagt die Direktorin des Museums, Anne Gemeinhardt.

Viele Menschen vermissten die märchenhaften Karossen, sagt Gemeinhardt. Immer wieder höre sie, dass Hannoveraner schon als Kinder die goldenen Kutschen in der großen Halle des Historischen Museums bestaunten und dann als Eltern mit dem eigenen Nachwuchs zurückkämen. Also habe man die Idee entwickelt, die Kutschen nach Herrenhausen zu verfrachten – und das Schlossmuseum konzeptionell zu verändern.

„Ich bin immer noch sprachlos, dass die Kutschen durch den Eingang zum Westflügel passen“, sagt Inga Samii, Leiterin des Fachbereichs Kultur bei der Stadt Hannover. Tatsächlich haben die Logistiker zuvor alles exakt ausgemessen. Klar war, dass die Hauptstaatskarosse der Welfen nicht mit Krone auf dem Kabinendach durchs Tor rollen kann. Ansonsten kamen die Experten zu dem Schluss, dass die goldene Kutsche in einem Stück zu transportieren ist, ebenso die anderen drei Gefährte aus dem Historischen Museum. „Das war eine Erleichterung“, sagt Szarata. Denn das Auseinanderschrauben uralter Holzteile sei stets schwierig.

Nun ist es nicht so, dass man einfach Pferde vor den Wagen spannen und stilecht von der Altstadt nach Herrenhausen rumpeln könnte. Alle vier Kutschen sind bedeutende historische Relikte, allein die goldene Staatskarosse hat nach Angaben der Stadt einen Versicherungswert von mehreren Millionen Euro. Die Kutschen dürfen folglich nur wenige Meter auf eigenen Rädern rollen, um keinen Schaden zu riskieren.

Die meiste Zeit steht die goldene Kutsche an diesem Donnerstagvormittag mit Schnüren und Keilen gesichert auf einer Holzpalette. Jeder Handgriff sitzt, als die Männer der Firma Hasenkamp die Karosse für den Transport von der Altstadt nach Herrenhausen vorbereiten. Ein Gabelstapler hebt die Palette samt Kutsche an und bugsiert sie auf einen riesigen Lastwagen. Die mit Blattgold überzogene Kutsche wiegt so viel, wie ein mittelgroßer SUV: 1,7 Tonnen. Dann rollt der Lkw sanft an und fährt Richtung Herrenhausen. Dort angekommen geht es in umgekehrter Reihenfolge weiter: Abladen mit Gabelstapler, Transport auf der Palette bis zum Schlosseingang. Nur die allerletzten Meter rollt die Kutsche auf eigenen Rädern.

„Vor 28 Jahren habe ich diese Kutsche nach Berlin befördert”, erinnert sich Szarata. Damals habe es sich um eine Leihgabe für ein Museum gehandelt. Daher wisse er genau, wie mit dem Holzgefährt umzugehen sei. „Die Tür zur Kabine lässt sich immer noch nicht öffnen”, sagt er grinsend. Szarata ist 73 Jahre alt und schon im Ruhestand. Für solche Spezialtransporte wird er noch immer gebucht. „57 Jahre mache ich den Job und habe schon etliche Kutschen transportiert”, sagt er. Zum Glück müsse die Welfenkutsche nicht in einer klimatisierten Box befördert werden. Das habe er mit einer Kutsche erlebt, auf die ein Bild von Michelangelo gemalt war. Die Umgebungstemperatur musste beim Transport stets gleich bleiben.

Alle vier Prachtkutschen werden im Schlossmuseum erst ab Anfang Juli zu sehen sein. Dann erwartet die Besucher ein neues Ausstellungshaus. Der Ostflügel soll eine Art Entree zum Großen Garten werden. „Dort zeigen wir eine Ausstellung zur Geschichte der Herrenhäuser Gärten sowie aktuelle Informationen zu den Gärten“, sagt Museumsdirektorin Gemeinhardt. Der unterirdische Gang bleibe unverändert, im Westflügel stünden die Kutschen. Von dort aus gelangen Besucher künftig in den Barockgarten. „Zuvor war es so, dass unsere Gäste durch das gesamte Museum wieder zurückgehen mussten, um zum Garteneingang zu kommen“, sagt sie. Das sei ungünstig, besonders, wenn Besucher rasch auf die Toilette müssten.

Wenn das Historische Museum in der Altstadt 2030 wieder öffnet, sollen die Kutschen zurückgebracht werden. Dann wird erneut viel Fingerspitzengefühl beim Transport gefragt sein.






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