Eine bewegende Mission
Die „Schaukelguerilla“ hat mehr als 100 Schaukeln in aller Welt aufgehängt – die meisten davon in Hannover. Das Projekt geht weiter – und soll glücklich machen.

Die Schaukelguerilla hängt Schaukeln überall dort auf, wo es sich gut schaukeln lässt – damit immer mehr kleine und große Menschen Spaß am Kindsein haben.
Hannover. Um Menschen glücklich zu machen brauche man nicht viel, sagt Kathrin, die junge Frau mit den lila Haaren: ein Brett, zwei Seile, einen Baum mit einem dicken, seitlich herausgewachsenen Ast. „Einen echten Schaukelbaum“, erklärt sie, und ihre Augen suchen aufmerksam die große grüne Wiese ab. „Schaut, da hinten steht einer!“ Und schon läuft sie durch das hohe, dichte Gras direkt auf die Esche zu.

Kathrin, die ihren Nachnamen nicht öffentlich machen will, ist in Sachen Schaukeln Expertin. Sie schaukelt für ihr Leben gern und will diese Begeisterung am liebsten mit der ganzen Welt teilen. Daher lautet ihr Plan: den Menschen möglichst viele Schaukeln schenken. Und ihnen so die Möglichkeit geben, einfach loszuschaukeln. Bis in den Himmel und zurück. Hin und her. Her und hin.

Daher hängt sie Schaukeln überall dort auf, wo es Orte mit einer Möglichkeit gibt, eine Schaukel gut zu platzieren. Meistens sind das Bäume. Es können aber auch Brücken, Pfosten oder etwas anderes sein. „Wer schaukelt ist glücklich“, sagt sie.

„Schaukelguerilla“ nennt sie ihre Aktion. Denn das wilde, inoffizielle Aufhängen der Schaukeln geht schnell wie bei einer Guerilla-Aktion: Zwei Seile werden über den Ast geworfen, zwei Schlaufen jeweils in die Enden geknüpft, die andere Seite wird durchgefädelt und festgezogen. An die nach unten hängenden Enden befestigt Kathrin ihr vorgebohrtes Brett mit zwei Knoten. Zwei bis fünf Minuten dauert das maximal. Dann schaukelt sie das Ganze so richtig ein, das ist ihr Sicherheitscheck.

Die meisten „Guerilla“-Schaukeln hängen – oder hingen – in Hannover, aber auch an anderen Orten in Deutschland, Europa, sogar in Asien, Australien. Und eine gibt es in den USA. Die Plätze sucht Kathrin sorgsam aus, das Schaukeln soll Freude bereiten. Über tiefe Abgründe eine Schaukel als Nervenkitzel zu hängen, das wäre für sie ein No-Go.

Die Orte können verträumt sein – oder genau das Gegenteil. „Ich habe auch im Ihme-Zentrum Schaukeln aufgehängt. Je trostloser der Ort, desto nötiger hat er Schaukeln verdient.“ Direkt auf dem Goethekreisel hing auch mal eine Schaukel, eine andere hatte Kathrin an einem Kanonenrohr eines Panzers auf dem alten Truppenübungsplatz aufgehängt: „Das hatte eher symbolischen Charakter.“ Die Schaukeln sind durchnummeriert, manche sind auch kunstvoll bemalt – wie die 106. Seit rund zehn Jahren gibt es die „Schaukelguerilla“. „Es war eine Schnapsidee: Wir waren auf einem Festival, und irgendwer hatte Seile dabei. Wir haben ein Brett gesucht und geschaukelt.“ Und dabei philosophiert, wie cool es wäre, wenn es für so glückliche Momente mehr Schaukeln auf der Welt gäbe. Da war die Idee geboren: der Welt 100 Schaukeln zu schenken.

„Am Anfang waren es ganz verrückte Orte. Eine habe ich direkt vor dem Hauptbahnhof aufgehängt, aber sie wurde schnell abgehängt.“ Das ist leider das Schicksal der meisten „wilden“ Schaukeln: Nach einiger Zeit sind sie verschwunden. Von den Grundstücksbesitzern, den Parkpflegern, dem Grünflächenamt oder wem auch immer werden sie entfernt. Oder sie fallen dem Vandalismus zum Opfer.

Die „Schaukelguerilla“-Frau lässt sich davon nicht abhalten. Mut machen ihr die Menschen, die auf den Schaukeln schaukeln, solange sie hängen. „Ich bekomme Fotos zugeschickt und manchmal auch Tipps für neue Schaukelorte“, sagt sie. Jüngst hat sie sogar Bretter und Seile geschenkt bekommen. Der einzige Wunsch vom Spender: auf der Bult in Hannover die Schaukel zu ersetzen, die dort einst gehangen hat. Das wird ihr nächstes Projekt.

Wie andere Fußabdrücke hinterlässt Kathrin Schaukeln an Orten, an denen sie vorbeikommt. „Mit Mitte 20 bin ich drei Jahre auf Weltreise gegangen, zunächst auf dem Balkan, dann Richtung Süden“, sagt die junge Frau, die im sozialen Bereich arbeitet. Jahre später habe ein Freund auf einer griechischen Insel eine Schaukel am Strand fotografiert, ihr das Bild geschickt und gemeint, dass da jemand ihre Idee gehabt hätte. „Nein, es war meine Schaukel, die dort immer noch hing“, erzählt sie voller Freude.

Auf Facebook hat sie eine Seite, wo alle Schaukelstandorte eingezeichnet sind. Die 100. Schaukel hängt übrigens an einem besonderen Ort: im Garten vom Kloster Loccum an einer alten Blutbuche. Prior Arend de Vries hatte Kathrin persönlich eingeladen, dort Nummer 100 ganz offiziell aufzuhängen.

Und ihre Mission geht weiter: „Schaukeln kann man in jedem Alter“, sagt Kathrin. „Es holt ein Stück Kindheit zurück.“ Dabei sieht sie mit ihren lila-blonden Locken, die beim Schaukeln so schön fliegen, selbst aus, als sei sie direkt einem Peter-Pan-Film entschlüpft.

Dann malt sie auf ein neues Brett die Zahl 107. So weit ist sie inzwischen. Das hängt sie in den Leineauen auf, direkt am Wasser. Ein Spaziergänger bleibt spontan stehen, beobachtet sie. „Es gibt doch nichts Schöneres, als unter einem Baum so zu schaukeln”, schwärmt er.





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