Bei Yalniz aber ist das ein bisschen anders. Das Klavier ist für den gebürtigen Braunschweiger, dessen Eltern aus Istanbul stammen, nur eine Option unter vielen. Seine eigenen Kompositionen wurden schon auf größeren Festivals aufgeführt, und auch das Dirigieren hat ihn interessiert, seit er als Jugendlicher am IFF, dem Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter an der Hochschule, die Grundlagen dieses Handwerks gelernt hat.
Inzwischen hat er die Grundlagen ausgebaut und setzt die Theorie in die Praxis um: Am 2. Oktober debütiert Yalniz als Dirigent bei der NDR Radiophilharmonie. Er leitet ein Pro-Musica-Benefizkonzert für den Verein „Live Music Now“, dem er seit Längerem verbunden ist. Solisten im NDR Konzerthaus sind fünf aktuelle Stipendiatinnen und Stipendiaten und ein ehemaliger: Igor Levit ist bei Beethovens „Trippelkonzert“ beteiligt. Er habe nicht lange überlegen müssen, als die Anfrage von „Live Music Now“ kam, sagt Yalniz. „Ich habe sofort zugesagt, das ist eine unglaubliche Gelegenheit. Ich bin sehr dankbar, dass der Vorstand so viel Vertrauen in seine Stipendiaten setzt.“
Um dieses Vertrauen zu rechtfertigen, hat Yalniz bei einem anderen berühmten Lehrer Unterricht genommen: Jorma Panula hat nicht wenige der Dirigenten ausgebildet, die heute das Musikleben prägen, und der Finne ist auch mit 93 Jahren des Unterrichtens nicht müde. Im vergangenen Jahr und in diesem Frühjahr ist Yalniz mehrfach zu dem legendären Dirigentenmacher nach Oslo gefahren.
Dieses Engagement hat schon Früchte getragen: Im Sommer wurde Yalniz als „Salonen-Fellow“ ausgewählt: Er assistiert dem Dirigenten (und Panula-Schüler) Esa-Pekka Salonen jetzt eine Saison lang in Los Angeles bei dessen Arbeit mit verschiedenen Orchestern.
Von Panula hat Yalniz einige lakonische Leitsätze gelernt. „Mach nur das, was nötig ist“, ist einer davon: Ein Dirigent soll seine Aufgabe nicht überdramatisieren und die Musiker im Orchester nicht stören, sondern Vertrauen zu ihnen fassen. „Lerne von den Instrumentalisten, dann wirst du deine Aufgabe als Dirigent finden“, ist daher eine weitere Panula-Weisheit.
Yalniz ist allerdings nicht der Typ, dem man mühsam Zurückhaltung angewöhnen müsste. Trotz Talents und früher Erfolge ist er bescheiden geblieben. Er selbst beruft sich gern auf Erfahrungen, die er bei seinen Konzerten für „Live Music Now“ sammeln konnte. Im Duo mit der Geigerin Sara Göbel ist er in den vergangenen drei Jahren unter anderem im Autismus-Zentrum aufgetreten, im Gefängnis, einer Kinderklinik und im Hospiz. „Einmal haben wir sogar in einem Raum ohne Publikum gespielt – für Menschen, die in ihren Zimmern zugehört haben.“
Bei solchen Gelegenheiten könne man lernen, was es bedeute, für andere Menschen Musik zu machen, sagt Yalniz. „Man spürt die Dankbarkeit, dass sie Musik erleben dürfen.“ Das sei gut für Studierende, die sonst beim Spielen die ganze Zeit über nur bewertet und beurteilt würden. „Und es hält auf dem Boden: Man versteht, wie schön der Beruf sein kann, den wir haben.“