Die Expertin für optische Strahlung am Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sagt: „Es wäre fatal zu sagen: Geht ungeschützt in die Sonne, um ausreichend Vitamin D zu bilden.“ Denn: Die Sonne hat auch Schattenseiten. Ein Zuviel an Sonne kann das Erbgut der Hautzellen dauerhaft verändern. Baldermann verweist auf „eine der schlimmsten Folgen starker UV-Belastung“: Hautkrebs. Ultraviolette Strahlung kann ihn auslösen und wachsen lassen. Das haben Studien eindeutig gezeigt.
Krebsregister-Hochrechnungen verdeutlichen das Ausmaß: Rund 331 000 Menschen erkrankten 2022 erstmals an Hautkrebs – nur in Deutschland. Für 2024 werden knapp 336 000 Neuerkrankungen erwartet. Die Zahl der an Hautkrebs erkrankten Männer hat sich hierzulande in den vergangenen 30 Jahren vervierfacht, bei Frauen verfünffacht. Rund 4400 Menschen sterben daran pro Jahr. Zwischen 2002 und 2022 ist die Todesrate um 65 Prozent gestiegen.
Dass Hautkrebs häufiger auftritt, sei „eng mit den heute üblichen längeren Aufenthalten der Menschen in der Sonne verknüpft“, schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft auf ihrer Homepage. Dazu kommt, dass die UV-Strahlen-Intensität zugenommen hat. Durch den Klimawandel gibt es immer mehr warme, wolkenlose Tage – und damit mutmaßlich auch eine erhöhte UV-Strahlendosis. „Trotzdem vernachlässigen wir den UV-Schutz sehr stark – auch heute noch“, sagt Baldermann. „Wir haben immer noch den Gedanken, braun sein ist attraktiv, Sonne ist gesund.“
Viele schützen sich im Freien nicht so, wie sie es müssten. Das zeigt eine Forsa-Umfrage der Krankenkasse AOK. 1500 Menschen wurden im Frühjahr dieses Jahres dafür befragt. Das Ergebnis: Rund ein Viertel der Befragten greift nur zu besonderen Anlässen zur Sonnencreme – im Urlaub oder im Freibad etwa. Nur jede zweite Person vermeidet lange Aufenthalte in der Sonne. Rund die Hälfte vergisst häufig, sich einzucremen.
Besonders Kinder sind gefährdet. Haben sie häufig Sonnenbrände, steigt das Risiko, im Laufe des Lebens schwarzen Hautkrebs zu bekommen, um das Zwei- bis Dreifache. Sonnencreme kann davor teilweise schützen. Aber auch sie hat ein schlechtes Image. Erst neulich wurde in sozialen Medien behauptet, Sonnencreme verursache Hautkrebs. Obwohl das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) entschieden dagegenhält: Es gebe keine Belege, die auf eine Gesundheitsgefahr hindeuten oder gar ein erhöhtes Krebsrisiko durch UV-Filter in momentan erhältlichen Sonnenschutzmitteln vermuten ließen.
Sonnenlicht, so wird in manchen Beiträgen behauptet, sei hingegen uneingeschränkt gesund und könne Krankheiten heilen. Bewiesen ist das keinesfalls. Was man hingegen sagen kann: UV-Strahlung schädigt zwar eindeutig, kann aber gleichzeitig gesundheitsförderlich sein.
Das durch UV-Strahlung angeregte Vitamin D macht Knochen stabiler, kurbelt zahlreiche Stoffwechselvorgänge an und unterstützt das Immunsystem. Womöglich kann es sogar den Verlauf von chronischen Erkrankungen günstig beeinflussen: Diabetes etwa, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch Krebs. Neuere Studien erkennen aber maximal Wechselwirkungen und keine direkten, belegbaren Zusammenhänge. Und UV-Strahlung kann das Immunsystem auch schwächen.
Wie soll man die Nutzen gegen die Schäden abwägen? Auch die Europäische Kommission hat sich 2016 diese Frage gestellt. Ein wissenschaftliches Gremium kam zu folgendem Schluss: Es gibt keine sichere UV-Strahlung. Die negativen Auswirkungen der UV-Strahlung überwiegen bei Weitem den positiven Effekt der Vitamin-D-Bildung.
Klar ist aber auch: Wann genau es draußen gefährlich wird, entscheidet mitunter auch der Hauttyp. Menschen mit sehr dunkler Haut bekommen selten einen Sonnenbrand und haben dementsprechend ein geringeres Risiko für Hautkrebs, aber ein erhöhtes für einen Vitamin-D-Mangel. Menschen mit sehr heller, empfindlicher Haut bräunen selten bis nie und haben ein sehr hohes Sonnenbrand- und Hautkrebsrisiko Doch Baldermann betont: „Ich halte es für schlichtweg nicht möglich, konkrete Zeiten zu empfehlen, wie lange welcher Hauttyp sich der Sonne aussetzen kann.“ Jeder Mensch reagiere unterschiedlich, die Spannbreite auch innerhalb eines Hauttyps sei sehr groß, was die Eigenschutzzeit angeht.
Die Faustregel, auf die man sich hierzulande geeinigt hat: Für eine ausreichende Vitamin-D-Synthese genüge es, Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz zwei- bis dreimal pro Woche „der Hälfte der minimalen sonnenbrandwirksamen UV-Dosis auszusetzen“. Das empfiehlt das Deutsche Bündnis für Strahlenschutz, in dem sich Fachgesellschaften aus Medizin und Ernährung und Strahlenschutz und wissenschaftliche Behörden zusammengetan haben.
Für eine tendenziell hellhäutige Bevölkerung hierzulande brauche es im Normalfall zwischen 8.30 und 16 Uhr Sonnenschutzmaßnahmen – also mit Sonnencreme einschmieren, Sonnenbrille tragen, starke, direkte Sonne meiden, lange Kleidung tragen, sich möglichst im Schatten aufhalten.
Die Intensität der UV-Strahlung variiert. Hinweise liefert der sogenannte UV-Index – ab einem Wert von drei sollten hellere Hauttypen mit einem Schutz beginnen. Ab einem Wert von acht sei er für alle Hauttypen ratsam, sagt Baldermann. Aktuelle Messdaten von 43 Standorten im Land lassen sich auf der BfS-Homepage einsehen.
Wird dann gar kein Vitamin D mehr gebildet? Der Sonnenschutz verlängere zwar den Zeitraum, erklärt Baldermann, doch: „Kein Sonnenschutz kann komplett verhindern, dass UV-B-Strahlung die Haut trifft. Die Vitamin-D-Produktion wird immer angetriggert.“ Einen Sonnenbrand vermeiden, das sei wirklich das Allerwichtigste. Denn die Haut vergisst nicht.