Flucht nach vorn
Teil sechs: Sprinter Alaa Maso aus Syrien im olympischen Flüchtlingsteam

Zweiter Einsatz im Flüchtlingsteam des IOC: Alaa Maso startete schon 2021 in Tokio. Foto: Debbie Jayne Kinsey
Hannover. Im Schwimmbad in seiner Heimatstadt Aleppo in Syrien wird Alaa Maso vermutlich nicht mehr trainieren können. Da macht sich der Schwimmer von Waspo 98 Hannover nichts vor. Die Rückkehr wäre zu gefährlich. „Der Krieg ist zwar leiser geworden, aber er ist nicht vorbei. Ich kann nicht zurück“, sagt der ­24-Jährige. Vor acht Jahren war er mit seinem Bruder Mohamad aus Syrien geflohen. Der Sport ist eine Flucht für den Ricklinger, und die tritt er schnell nach vorne an. Bei den Olympischen Spielen ist er wie schon in Tokio im Refugee-Team dabei, schwimmt die 50 Meter Freistil. „Ich bleibe realistisch, eine persönliche Bestzeit würde mir schon reichen“, sagt Maso. 2021 hatte er im Vorlauf Wasser geschluckt und das Halbfinale verpasst. Aber für ihn ist die Teilnahme eben doch wichtiger als der Sieg, für Maso gilt das olympische Motto ungeachtet seines Ehrgeizes noch.

Der Weg hin und zurück zum Schwimmbad war am gefährlichsten, daran erinnert sich der Sprintexperte noch genau. Manchmal schlugen die Bomben in der Nähe ein, dann riskierten sie es gar nicht erst, er und sein älterer Bruder Mohamed, der Triathlet. Einmal trafen Kugeln das Bad, obwohl die Kämpfe eigentlich weiter weg zu toben schienen. Ein anderes Mal hatte Mohamed Maso großes Glück: Bei einem Trainingslager in Damaskus schlugen zwei Bomben an der Laufbahn ein, bei der 200-Meter-Marke, drei Mitglieder des Teams kamen ums Leben – Mohamed war gerade auf der gegenüberliegenden Seite. Ein Horror. „Es war sehr knapp. Irgendwann war klar, dass wir da wegmüssen“, sagt Alaa Maso. Zumal den Brüdern auch der Einzug zum Militär drohte.

Längst sind die Brüder in Hannover gut integriert, sie nahmen nach ihrer Flucht über die Türkei den Leistungssport wieder auf und beide an den Olympischen Spielen in Tokio teil. Triathlet Mohamad für Syrien, Schwimmer Alaa im Flüchtlingsteam. Diesmal ist Alaa allein in Paris, sieht man von Vereinskamerad und Langstreckler Sven Schwarz ab, beide trainieren in der Leistungsgruppe des Landesschwimmverbandes bei Coach Emil Guliyev. Unterstützung bekommt Maso auch vom IOC, er ist einer von zehn Athleten aus Deutschland in dieser besonderen Mannschaft. Maso ist froh, es nach Long Covid überhaupt wieder geschafft zu haben, 2022 erwischte ihn Corona und zog ihn für mehr als ein Jahr richtig runter.

Nun ist Maso wieder aufgetaucht, peilt in Paris eine Zeit von 23,03 Sekunden an, seine Bestmarke. Ohne zu atmen, das tun über diese kurze Distanz sowieso die wenigsten. In Tokio war er 23,30 Sekunden geschwommen, diesmal will er unter die besten 40 Starter. „Ich bin in guter Form“, betont der Waspo-Mann. Nicht zuletzt weil der Start im Refu­gee-Team auf zwei Olympiateilnahmen begrenzt ist, plant Maso längst die Zukunft. Er ist selbst Trainer und kann sich vorstellen, als Physiotherapeut zu arbeiten. „Dicht am Sport wäre schön“, sagt Maso.

Besonders wichtig wäre aber zunächst der deutsche Pass, den Mohamad soeben erhalten hat. Der nutzte sofort die Gelegenheit, seine Mutter und die Schwester in der Türkei zu besuchen – für beide endete damals die Flucht dort. „Das war sehr emotional. Und ich wünsche mir natürlich, dass beide hierherkommen dürfen. Aber wir brauchen Geduld“, sagt Maso. Sein Vater ist noch in Aleppo, er ist inzwischen 75 Jahre alt und hat nach wie vor eine Schwimmschule, um sich finanziell über Wasser zu halten. Ihn wiederzusehen und ihm helfen zu können, wünscht sich Alaa Maso ebenfalls sehr: „Mein Zuhause ist jetzt aber hier in Hannover, ich fühle mich wohl und sicher. Das bedeutet mir sehr viel.“

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