„Zehn Tage Party pur“, verspricht der Veranstalter für die Zeit vom 28. Juni bis 7. Juli auf dem Schützenplatz. Das Gaypeople-Zelt ist seit Jahren fester Bestandteil, zwischen Bruchmeisterinnen und Bruchmeistern, Grünröcken und Familien feiert hier schon lange nicht mehr nur die queere Community. „Ich bin das Maskottchen“, scherzt Sascha, der als „Welcome-Dame“ am Einlass stehen wird. Jeden Tag in einem anderen Kostüm, das versteht sich. Am ersten Schützenfesttag dürfte er sich dann auch viele Umarmungen abholen, „das ist mein Geburtstag, dieses Jahr fällt das zusammen“.
Wie kommt der (noch) 46-Jährige zu der Rolle am Eingang des Party-Hotspots? „Es war ein langer Weg“, sagt er selber. Aufgewachsen ist er in Stöcken und Berenbostel. Für Theater hatte er sich immer interessiert, doch die Eltern bestanden darauf, dass er „etwas Anständiges“ lernt. Also wurde er Fachangestellter im öffentlichen Dienst.
„Ich wollte etwas mit Menschen zu tun haben.“ Lange lebte er in einer engen Beziehung, „da war der Fokus auf Zweisamkeit“. Doch nach der Trennung 2013 wagte er den Sprung. Er besorgte sich zunächst Accessoires, dann Perücken, probierte schließlich ganze Kostüme aus. Und stellt klar: „Ich bin ein ganz normaler schwuler Mann, ich möchte keine Frau sein.“
Aber er wollte in eine Bühnenrolle schlüpfen. „Ich fand die gute alte Travestie immer toll“, schwärmt er von Vorbildern wie Mary & Gordy. „Es ist eine Kunstform, die Diva zu spielen. Es geht darum, sexy und selbstbewusst zu sein.“ Aber auch eine Spur Feminismus sieht er in dieser Rolle. „Ich kann Dinge sagen, die sich Frauen vielleicht nicht trauen.“
Schäkern, scherzen, schlagfertig reagieren, es ist eine Kunst, die er über die Jahre entwickelt hat. Rückschläge inklusive. Ein Freund nahm ihn gleich zu Beginn mit zu einem Talentwettbewerb nach Hamburg ins renommierte Cabaret „Pulverfass“. „Das war viel zu früh, ich habe gemerkt, dass ich für einen solchen Auftritt noch viel lernen muss.“ Er hatte aber auch ein Erfolgserlebnis: „Ich habe mich schließlich auf die Bühne getraut.“
Seitdem hat er viele Gespräche mit Profis geführt, sich von Lilo Wanders (alias Ernst-Johann Reinhardt, 68) oder „Zauber der Travestie“-Star Fräulein Luise Tipps geben lassen. Und Lob bekommen. „Du hast ein Travestiegesicht“, habe er oft gehört. „Ich weiß bis heute nicht, was damit gemeint ist“, bemerkt Sascha und lacht. „Auf jeden Fall hat es mich bestärkt“.
Ein wichtiger Schritt: ein Künstlername! „Ich habe lange überlegt“, erzählt der 46-Jährige, der alle möglichen Frauenfiguren in seinem Leben würdigen wollte. Von der Figur „Jessica Fletcher“ aus der Serie „Mord ist ihr Hobby“ mit Angela Lansbury (†96) lieh er sich den Vornamen. Die „Denver-Clan“-Stars Joan Collins (91) und Linda Evans (81) waren ebenfalls in der Verlosung, doch sie wurden von der „Dallas“-Figur Sue Ellen ausgestochen, die Schauspielerin Linda Gray stand Patin für den Nachnamen.
Und dann war da der Ratschlag von Lilo Wanders. „Versuche nicht, Tina Turner zu imitieren, sondern schaffe deine eigene Kunstfigur“, zitiert Sascha sein Vorbild. Sein Ehrgeiz: „Ich muss so echt und überzeugend sein, dass es nicht nur auf der Bühne funktioniert, sondern auch bei Penny an der Kasse.“ Und wie ist diese Jessica Gray? „Sie ist lustig und sagt, was sie denkt. Das ist in der Rolle oft leichter als im normalen Leben. Und viel von Sascha steckt in ihr drin.“Der 46-Jährige möchte aber nicht nur mit Make-up und schrillen Kostümen („ich habe bestimmt 30 bis 40 Stück“) auffallen. „Ich will den Weg frei machen für junge Schwule, ich will mit Klischees und Vorurteilen aufräumen.“ Das Schützenfest sei dafür die perfekte Spielwiese, weil sich hier das Partyvolk mit eher konservativen Schützinnen und Schützen mische. „Sonntag ist der beste Tag“, schwärmt er vom traditionellen Ausmarsch. „Und bei uns ist die beste Party“, findet er und denkt ans Gaypeople-Zelt. „Man trifft sich jedes Jahr, es ist ein Wiedersehen mit Freunden.“
Zehn Tage Schützenfest, „dafür nehme ich Urlaub“, sagt der Behördenmitarbeiter. „Nach ein, zwei Tagen ist man im Rhythmus, am Ende schwebt man wie auf einer Wolke.“ Denn es gibt auch Begegnungen mit Stars. Schlagerikonen wie Peggy March, Ireen Sheer, Mary Roos oder Lena Valaitis sind schon im Regenbogen-Zelt aufgetreten. Und dieses Jahr? Am 3. Juli ab 21 Uhr singt das bayerische Cowgirl Nicki „Wenn i mit dir tanz“. Und Jessica Gray ist sicher: „Hannover kann gut feiern.“