„Wir haben hier eine sehr große Offenheit erlebt“, sagt Prof. Nina Jude, Bildungswissenschaftlerin von der Universität Heidelberg und Jurymitglied. So offen wie die Klassentüren habe sie auch das Lernkonzept erlebt. Schülerinnen und Schüler könnten frei lernen, in Logbüchern werde stets ihr Lernstand festgehalten. Gelernt werde in jahrgangsgemischten Gruppen, in Lernbüros und im eigenen Tempo, ältere Schüler verfassten Lernmaterialien für jüngere. Man lerne mal zusammen, mal allein. Raika Wiethe, Gymnasiallehrerin aus Kiel, lobt das große Engagement von Eltern, Lehrkräften und Schülern: „Das ist wie eine große Gemeinschaft, wie eine Familie, alle bringen sich ein.“
Genauso hat es auch Zehntklässler Laurin (16) erlebt: „Das Verhältnis zu den Lehrerinnen und Lehrern ist einfach nett.“ Und er lobt das Essen, das ein Koch dreimal in der Woche für die rund 230 Schüler koche. Mitschülerin Mia (16) hat vor allem die Freiheit an der Glockseeschule schätzen gelernt: „Schule war nie etwas Schlimmes“, sagt sie. Das Gründungsmotto hieß „Schulängste? – Denkste!“. Die Gründer der Glockseeschule wollten seinerzeit bewusst einen Bruch mit der klassischen Frontalpädagogik. Kinder sollten mitbestimmen, was sie lernten.
Warum braucht eine antiautoritäre Alternativschule mit mehr als 50-jähriger Tradition überhaupt noch den Deutschen Schulpreis? „Weil wir nicht in der Vergangenheit stehen geblieben sind und uns ständig weiter verändern“, sagt Schulleiter Holger Braun. „Die Gesellschaft wandelt sich, die Kinder sind heute anders als früher, die Eltern und natürlich auch die Lehrkräfte. Durch Veränderung können wir aktuelle Antworten auf die Fragen unserer Zeit geben.“ Drei Jahre lang habe die Schule sich mit inneren Reformprozessen beschäftigt, sagt auch Lehrer Denis Gilde, die Corona-Krise habe den Erneuerungsprozess zunächst ein wenig ausgebremst. Nun sei der große Reformprozess abgeschlossen, sagt Braun, die Schule biete ein ganzheitliches Konzept von Klasse 1 bis 10. Eine Auszeichnung wie der Deutsche Schulpreis könne den Blick auf die Antworten richten, die die Glockseeschule für sich gefunden habe, die aber auch für andere Schulen interessant sein könnten. Über neue Lernkonzepte werde viel zu wenig gesprochen, findet Schulleiter Braun. Er wünscht sich mehr Bildungsdebatten in der Öffentlichkeit, es gehe immer nur darum, was Kinder nicht könnten, etwa wenn wieder neue Ergebnisse der Pisa-Studie vorgestellt würden.
In die Jahre gekommen ist die Glockseeschule in dem denkmalgeschützten Backsteingebäude aus Sicht der Jury keineswegs. „Von langer Geschichte habe ich nichts gespürt“, sagt auch Jurymitglied Raika Wiethe, im Gegenteil. Die Glockseeschule strahle Dynamik und Frische aus, sie sei eine Schule, die sich ständig verändere und an sich arbeite, und das sei gut so: „Eine Schule muss sich immer hinterfragen.“
Auch das alte Vorurteil, dass man an einer so freiheitlichen Schule nur wenig lerne, sei falsch, sagt Zehntklässlerin Mia, die gerade ihre schriftliche Abschlussprüfung absolviert hat. „Wir haben gelernt zu lernen.“ Zwar habe man zuvor nie Prüfungssituationen an der Schule gehabt, aber durch die gute Vorbereitung seien die gut zu meistern gewesen. Das bestätigt auch Laurin.
Im Jahr 2006 haben die Robert-Bosch-Stiftung und die Heidehof-Stiftung den Wettbewerb „Deutscher Schulpreis“ ins Leben gerufen. Seitdem sind 102 Schulen ausgezeichnet worden. Unter den Preisträgern seien inzwischen ganz unterschiedliche Schulformen: Grundschulen und Gesamtschulen, aber auch Gymnasien, Berufsbildende Schulen und Förderschulen, sagt Gisela Hoiman von der Robert-Bosch-Stiftung. Aus Hannover war die Otfried-Preußler-Grundschule 2020 Siegerin beim Deutschen Schulpreis, die Integrierte Gesamtschule (IGS) List erreichte 2018 den zweiten Platz.