Wenn die Dialoge mies, die Handlung dünn und die Darsteller untalentiert sind, man aber trotzdem aus verschiedenen Gründen gebannt zusieht: Das ist „Hate-Watching“. Realityformate wie die RTL-Dschungelshow „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ mit ihren Ekelprüfungen sind ein Paradebeispiel: Viele fühlen sich abgestoßen, schauen aber dennoch bis zum Finale. Oder die Netflix-Serie „Emily in Paris“, in der eine junge Amerikanerin durch ein grotesk klischeehaftes Frankreich voller Baguettes und champagnertrinkender Charmeure stöckelt. Obwohl nicht einmal Fans diese Schwächen leugnen, kletterte die Serie auf Platz 1 der Netflix-Charts.
Warum ist das so? Nun – überraschenderweise kann „Hate-Watching“ glücklich machen. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Hass intensive Reaktionen im Gehirn auslöst, infolgedessen können Glückshormone wie Oxytocin oder Serotonin ausgeschüttet werden. Das erklärt zum Beispiel, warum man sich womöglich immer wieder die RTL2-Dokusoap „Die Geissens“ anschaut, auch wenn die Protzerei von Selfmade-Millionär Robert Geiss total nervt.
Außerdem befriedigt diese spezielle Art von TV-Konsum auch den Wunsch, sich von anderen abzuheben. Medienpsychologen wie Benjamin P. Lange von der Internationalen Hochschule Berlin sprechen von der Theorie des abwärts gerichteten sozialen Vergleichs: Präsentiert das Fernsehen Kandidaten und Kandidatinnen, denen man sich sozial überlegen fühlt, über die man sich lustig machen und auf die man herabblicken kann, steigt das Selbstwertgefühl. Die Realityshow „Sommerhaus der Stars“ bedient schon mal diesen Mechanismus – etwa 2020 mit der „Spuck-Attacke“ auf Teilnehmer Andrej Mangold. So würde man sich selber schließlich nie verhalten. Ein weiterer Grund ist die Freude am Gemeinschaftsgefühl. Wenn beim „Hate-Watching“ viele Menschen etwas schauen, um sich online oder im Gespräch darüber lustig zu machen, wirkt das verbindend. Oliver Kalkofes Fernsehreihe „SchleFaZ“ (kurz für: Die schlechtesten Filme aller Zeiten) lebt seit Jahren von diesem Mechanismus.
Einige Experten haben indes den Verdacht, dass hinter der Lust am „Hate-Watching“ bisweilen eine ganz andere Wahrheit steckt: Der Zuschauer oder die Zuschauerin hasst nicht die Sendung, sondern die Tatsache, dass er oder sie das Format klammheimlich mag. Wer gibt schon gerne zu, dass er Trash-Formate wie „Schwiegertochter gesucht“ (RTL+) eigentlich liebt? In so einem Fall müsse man seinen Geschmack eben mit einer Schicht Ironie übertünchen, um sich nicht angreifbar zu machen, schreibt US-Medienkritikerin Madeleine Davies auf der Website „Jezebel“.Inzwischen machen sich Beobachter schon Sorgen, dass die Lust am schlechten Fernsehen womöglich einen unguten Einfluss auf das Medium selber hat. Denn wenn zu viele Menschen aus Freude am Lästern und Versenden von Memes fragwürdige Sendungen zum unverdienten Erfolg machen, werden immer mehr davon produziert. Der miserable Horrorfilm „Sharknado“ etwa, in dem es Haie regnet, wird von manchen Menschen als Kult gefeiert und bringt es inzwischen auf fünf Fortsetzungen. Mit wütenden Hatern, die aggressive Kommentare posten und Mobbingkampagnen im Internet starten, darf man die lustvollen „Hate-Watcher“ zwar nicht gleichsetzen. Trotzdem warnen Psychologen wie Mark Travers von der Universität Boulder Colorado davor, es zu übertreiben: Wer sich zu intensiv negativen Emotionen hingebe, laufe Gefahr, auch im echten Leben zynischer zu werden und sollte besser eine Pause vom Hass-Fernsehen einlegen.