Insa Bödecker ist die Enkelin des Reformpädagogen Friedrich Bödecker, der sich zeitlebens für die Leseförderung von Schülerinnen und Schülern eingesetzt hat. Nach ihm ist der Friedrich-Bödecker-Kreis benannt worden, der in Hannover vor 70 Jahren gegründet wurde. Damals wie heute vermittelt der Bödeckerkreis an Schulen und Institutionen Autoren und Autorinnen für Lesungen und Workshops mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche für das Lesen zu begeistern. Inzwischen gibt es Landesverbände in allen Bundesländern.
Insa Bödeckers Großvater hatte bereits in den 1920er-Jahren die Idee entwickelt, Kinder- und Jugendbuchautoren in die Schule einzuladen, um neue Formen der Literaturvermittlung auszuprobieren. In seiner Schule gründete er auch eine Schulbücherei. Von 1950 bis 1952 war er im Kultusministerium und hatte den Auftrag, das desolate Schulbüchereiwesen in Niedersachsen wieder aufzubauen. In dieser Zeit initiierte er Fachtagungen rund ums Lesen für Pädagoginnen und Pädagogen, machte Wanderausstellungen, organisierte Lesungen und mehr.
1954 starb Friedrich Bödecker nach einem Schlaganfall. Sein Sohn Hans übernahm das ehrenamtliche Engagement seines Vaters. Und damit auch den Vorsitz im Verein. Das geschah nicht nur, um das Gedenken an Friedrich Bödecker zu wahren, sondern auch, weil ihm die Leseförderung – besonders von Kindern, denen das Lesen nicht leicht fiel – genauso am Herzen lag wie seinem Vater.. Hans Bödecker war Förderschullehrer und Schuldirektor in Hannover, er starb 2012.
„Zu uns nach Hause wurden von den Verlagen immer ganze Buchpakete mit Neuerscheinungen geschickt, das waren so um die 500 Bücher im Jahr, aus denen mein dreieinhalb Jahre älterer Bruder und ich uns dann die Literatur aussuchen durften, die uns interessierte. Es gab nur eine Bedingung: Wir mussten sie tatsächlich lesen und unserem Vater dann berichten, wie sie uns gefallen haben“, erinnert sich Insa Bödecker.
Aber noch mehr: Üblich war es damals, dass die Autoren und Autorinnen, die eine Lesung hatten, von Familie Bödecker bewirtet wurden. So saßen auch die Kinder abends mit am Tisch, lauschten den Gesprächen der Erwachsenen, redeten auch mal mit und erlebten die Schriftsteller und Schriftstellerinnen so von ganz unbekannten Seiten: „Wir saßen am Abendbrottisch und ich machte das Fett vom Schinken ab. Das wurde aber von meinen Eltern nicht gern gesehen und gleich kommentiert. Da sprang mir Christine Nöstlinger bei und sagte schnell: Gib her!“ Die 2018 verstorbene Christine Nöstlinger gilt als eine der wichtigsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautorinnen.Der Bödeckerkreis stand in der Familie Bödecker über allem. „Die Arbeit des Bödecker-Kreises war sowieso das Wichtigste für uns, die Ferien wurden danach geplant, auch abendliche Veranstaltungen. Manchmal war mein Vater sogar an Geburtstagen nicht da, weil irgendwo eine Sitzung des Verbandes war“, erzählt Insa Bödecker.
Nach dem Tod des Großvaters hatte seine Frau, Hertha Bödecker, von allen „Oma Hertha“ genannt, die Stelle als Geschäftsführerin übernommen. „Als Kind durfte ich sie immer ins Büro des Friedrich-Bödecker-Kreises begleiten. Das war im Künstlerhaus, dort, wo jetzt wieder die Geschäftsstelle ist. Aber damals war das Büro im dritten Stock, für Oma Hertha ein beschwerlicher Weg. Im Büro half ich ihr, Prospekte zusammenzufalten, Briefumschläge zuzukleben und Briefmarken aufzukleben“, sagt Insa Bödecker.
Oma Hertha war eine resolute und sehr direkte Frau. In den Zeiten, als die Infa-Messe noch in der Stadthalle war, hatte der Bödecker-Kreis gleich am Eingang einen Infostand mit Büchern. Und Oma Hertha ging durch die Messegänge und sprach die Menschen direkt an: „Haben Sie Interesse an Büchern? Wir können Ihnen gute Bücher zeigen, wir haben sogar die Autoren dieser Bücher hier.“
Insa Bödecker erinnert sich gut an ihre Großmutter, die, bis sie mit 82 Jahren starb, die ehrenamtliche Stelle innehatte: „Oma Hertha war als Geschäftsführerin eine absolute Institution, niemand kam an ihr vorbei. Mein Vater leitete den Bödeckerkreis, meine Tante führte nach ihrer Pensionierung bei der Sparkasse die Konten.“ Der Bödecker-Kreis blieb auch nach dem Tod von Oma Hertha Familiensache. „Meine Mutter sprang mit ein, sie hatte ja, während sie uns erzog, die Arbeit die ganze Zeit miterlebt und führte sie von zu Hause aus weiter.“
Und so ist auch eine Kindheitserinnerung von Insa Bödecker, wie ihre Mutter am Tisch sitzt, telefoniert und die Schreibtischunterlagen aus Papier mit Gesprächsnotizen vollschrieb. „Und wenn wir da saßen und Hausaufgaben machten, schrieben wir unsere Gedanken auch noch dazu – irgendwann war die Seite übervoll mit Texten, Hausaufgaben, Telefonnummern, Terminen.“
Heute ist Insa Bödecker die erste Vorsitzende des Friedrich-Bödecker-Kreises in Niedersachsen. Und wie ihr Vater und ihr Großvater arbeitet auch sie als Lehrerin an einer Schule. Selbst Bücher zu schreiben oder gar Autorin zu werden, ist ihr aber nicht in den Sinn gekommen. „Vielleicht, weil ich sowieso schon genug gute Geschichte um mich herum hatte. Da hat es mich nicht gereizt, selbst welche zu schreiben.“
Dafür ist das Lesen in ihrer Familie wirklich in guten Händen: „Ich lese immer noch sehr gern, tatsächlich auch Kinder- und Jugendliteratur. Denn gute Jugendbücher haben keine Altersbegrenzung, man kann sie auch noch gut als Erwachsener lesen und etwas aus ihnen für sich mitnehmen.“
Mit der Aktion „70/70/70!“ macht der Friedrich-Bödecker-Kreis in Niedersachsen ein besonderes Jubiläumsangebot zu seinem 70. Geburtstag: Er vermittelt 70 Autoren- und Autorinnenlesungen für jeweils 70 Euro. Die vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderte Aktion richtet sich an alle Schulen und Kitas in Niedersachsen, insbesondere an Einrichtungen, die noch nie mit dem Friedrich-Bödecker-Kreis zusammengearbeitet haben, sowie an Brennpunktschulen. Die Auftaktlesung machte Ingo Siegner ( „Der kleine Drache Kokosnuss“) im Künstlerhaus vor Zweitklässlern. Interessierte Schulen können sich direkt beim Friedrich-Bödecker-Kreis, Sophienstraße 2, Telefon (0511) 9805823, melden.