Für Elke Busche (73) ist jener Dienstag so ziemlich das Gegenteil eines guten Tages. Sie sitzt auf ihrem Bett in einem Zimmer des Uhlhorn Hospizes. Die 73-Jährige ringt um Luft, das Atmen fällt ihr schwer. Ihr Lungenvolumen beträgt gerade einmal 18 Prozent. Schuld daran ist die unheilbare Lungenkrankheit COPD, Ärzte stellten die Diagnose im Jahr 2010. Damals war es bereits die Stufe 4, es ist die höchste – die Folge einer 33-jährigen Karriere als Raucherin.
„Man wird immer schwächer. Zunächst fällt das Treppensteigen immer schwerer, dann sogar das Gehen“, erläutert Elke Busche mit schwacher Stimme. 50 Meter hat sie gerade noch geschafft, irgendwann waren es nur wenige Schritte. „Jede Form von Belastung bringt Atemnot.“ Sie schließt die Augen, gerade hat sie durch bloßes Sprechen die maximale Belastungsstufe erreicht.
Die Verabredung mit uns abzusagen, hat die todkranke Frau nur kurz in Erwägung gezogen. Denn ihr und ihrem Sohn Timm Busche (48) war es ein Anliegen, über etwas ganz Außergewöhnliches in dieser extremen Lebenssituation zu sprechen – ihren Podcast „Das letzte Gespräch ...? Oder der Tod klopft an der Tür“. Damit sind die beiden beim Deutschen Podcastpreis 2024 dabei. Wenn man möchte, war es so etwas wie der letzte Wunsch von Elke Busche, den Podcast zu machen. „Allerdings wollte sie, dass ich den alleine mache“, erzählt ihr Sohn. „Sie wollte in meine Hände legen, etwas zu erschaffen, an dem sich Menschen noch mal erfreuen oder sich erinnern können.“
Der Mann, den viele als Timm „Doppel M“ Busche aus dem Radio kennen dürften – zuletzt hat er bei Antenne Niedersachsen vor dem Mikro gesessen –, zückt sein Smartphone und scrollt in seinen Nachrichten. Er räuspert sich, liest schließlich mit fester Stimme vor: „Wenn ich mal nicht mehr da bin, wünsche ich mir, dass du einen Podcast machst. Etwas, was bleibt! Der Titel wäre ganz gut. Dann erzähl meine Geschichte. Wir sollten anfangen, darüber zu sprechen: Wünsche, Erfüllungen, Ängste, Traumata, Ziele und dann diese uneinholbare Krankheit, aber auch über meine Geschichte, Familie, Vergangenheit und Kindheit, womit du dich ja nicht gerne auseinandersetzt. Ich bin heute so unsagbar traurig. Ich werde bald sterben und ich weiß nicht, was bleibt.“
Diese SMS hat ihn am 20. Januar 2023 erreicht. „Zunächst habe ich total ungläubig draufgeguckt“, erinnert sich der 48-Jährige. Selten hat er von seiner Mutter eine so konkrete wie zugleich fordernde Anweisung bekommen. Aber: „Es passt zu ihr, in gewissen Situationen bestimmt zu sein.“ Busche kann immer noch nachempfinden, wie wichtig es seiner Mutter gewesen sein muss, sich ihm mitzuteilen. „In dem Moment hat sich irgendwas in ihr durchgesetzt.“ Jene Nacht hat Elke Busche genau in Erinnerung: „Ich hatte eine Atemnotattacke, da entstehen so emotionale Momente. Es ging mir dreckig.“
Trotzdem gab Busche seiner Mutter, die er seit Kindertagen beim Vornamen nennt, Widerworte: „Ich kann mich nicht alleine hinsetzen und deine Geschichte erzählen. Sie lebt davon, dass du dabei bist.“ Sein Gefühl, dass sie sich nicht mal eben vor ein Mikrofon setzt, sollte ihn nicht täuschen. „Ich habe ihm gesagt, das mache ich nicht“, erzählt die 73-Jährige. Zügig schuf sie eine Art Kompromiss: „Wir können ja erst mal eine Folge aufnehmen, müssen die aber nicht gleich online stellen. Wir hören uns die erst mal an“, hatte sie sich überlegt. Sie lächelt: „Dazu ist es aber nie gekommen, Timm hat sie doch gleich online gestellt.“
Das war im Februar 2023. Mittlerweile sind 30 Folgen bei Spotify erschienen. „Ich sitze dann immer auf meinem Bett und höre mir an, was wir da fabriziert haben.“ Genau dort auf dem Bett sitzt sie auch, wenn Mutter und Sohn Episoden aufzeichnen. Frei nach Schnauze, ganz ohne Vorbereitung und Spickzettel: „Das ist wohl das Geheimnis.“ Was die beiden da treiben, wenn von außen an der Tür ihres Zimmers nur ein DIN-A4-großer Zettel mit der handschriftlichen Notiz „ACHTUNG AUFNAHME“ steht, hat sich im Hospiz herumgesprochen. Großes Tamtam gab es nicht, allerdings einen Beitrag in der hauseigenen Zeitschrift.
Ohnehin kommt einem das Hospiz nicht als ein trauriger, beklemmender Ort vor – obwohl der Tod dort alltäglich ist. Es ist ruhig, auch wenn man die Autos über den Messeschnellweg fahren und die Kinder in der nur einen Steinwurf entfernten Kindertagesstätte kreischen, toben und lachen hört. Auch das Geburtshaus befindet sich auf dem Gelände – der Anfang des Lebens und das nahende Ende so nah beieinander. Ein tiefsinniges Nebeneinander, das zugleich sehr menschlich und erdend wirkt. Der Kreis des Lebens eben.
Und so kreisen die Gedanken von Elke und Timm Busche regelmäßig um das Thema Sterben. Jedoch nicht darum herum, sondern mitten hinein. „Dass daraus unsere eigene Therapie ohne Therapeut wird, haben wir zu Anfang gar nicht richtig erwartet“, gesteht Timm Busche. „Das hat es uns auch leichter gemacht, nicht so emotional an das Thema heranzugehen. Die Gespräche sind irgendwie auf einer professionellen Basis. Klar gleiten wir auch mal ab, und wir wissen auch, dass wir das zulassen müssen.“
Bei ihm sind etwa Tränen geflossen – er nennt es „einen kleinen Breakdown“ – als er die Wohnung seiner Mutter ausgeräumt hat. Das Geschirr, die CDs, die Bücher, ihre Möbel von Ikea und die von ihr einst so liebevoll platzierten Pinguinfiguren. „Das alleine macht einen Menschen ja nicht aus“, resümiert er, „aber das alles durch die Wohnungsauflösung irgendwie zu zerstören, war schon hart.“ In zwei brauen Koffern aus Leder, rechts neben ihrem Bett, befinden sich nun ihre Habseligkeiten. Als er die brachte, haben sie gemeinsam geweint. Die kleinen Pinguine stehen in Sichtweite im Regal.
Im Podcast haben sie über ihre Kindheit, den ersten Freund gesprochen, ihr Studium und ihre Sportlichkeit von einst. „Wir haben schon immer viel und offen miteinander geredet“, so Elke Busche. Nun auch über ihre Beisetzung: Sie will eingeäschert, möglichst laute Musik soll gespielt werden, „am liebsten was von Bob Marley und den Dire Straits“. Und mit „Hinterm Horizont“ von Udo Lindenberg (78) hat sie sogar einen konkreten Liederwunsch. Die Frage, was bleibt, haben sie auch längst beantwortet: „Der Podcast bleibt für immer.“