Ins Haifischbecken im Sea-Life bin ich gesprungen, bin für Leserinnen und Leser in die Rolle eines Sanitäters und Feuerwehrmanns geschlüpft und habe bis zur Schmerzgrenze Fahrgeschäfte auf der Kirmes getestet. Jetzt also das nächste gesellschaftliche Haifischbecken: Cannabiskonsum. Wie ist so ein Marihuanarausch? Ich wage den Selbstversuch.
Als ich etwa 16 Jahre alt war, wurde in meinem Jahrgang viel gekifft. Das waren die coolen Leute am Gymnasium, der harte Kern. Ich gehörte zwar dazu, konnte als Nichtraucher aber nie einen Joint mitrauchen – bis auf das eine Mal. In der ersten großen Pause traf man sich am Fahrradständer und ließ das dicke Tütchen herumgehen. „Schnell und tief ziehen“, empfahl man mir. Gefühlt bin ich fast gestorben nach zwei Zügen. Die Lunge brannte, mir war speiübel, der Schultag war gelaufen.
Ziemlich genau 30 Jahre später ist Cannabis in Deutschland nun legal – und ich bin bis auf wenige Ausnahmen Nichtraucher. Tabak schmeckt und bekommt mir einfach nicht. Dabei hätte es mir hier weitergeholfen, wenn ich in meinem Leben schon einmal ein paar Zigaretten mehr gedreht hätte, denn das „Bauen“ eines Joints unterscheidet sich nicht groß davon.
Etwa die Hälfte einer kastaniengroßen Blüte getrockneten Marihuanas brösele ich mit klammen Fingern in ein langes OCB-Blättchen und vermische das Gras mit etwas Tabak. Regen tropft mir in mein Erstlingswerk am Leibnizufer. Notgedrungen baue ich den Joint auf einer frischen ausgebreiteten Plastiktüte auf dem Sockel einer der Nanas, das Blättchen wird unbrauchbar, alles ist klitschnass. Fast fällt mir die gesamte Mischung aus den Händen. Nächster Versuch. Im Schutz eines Regenschirms gelingt dann das Wunder. Schön geht zwar anders, der Joint ist krumm und faltig, aber brauchbar, nachdem ich den halb herausgerutschten Aktivkohlefilter zurück an seinen Platz schiebe: keine Lücken in der Klebung, keine „Falschluft“. Dafür ein leichter Anflug von Mitleid der Menschen neben mir.
Es ist 16.20 Uhr – gemeinschaftliche Zündung des Cannabis Social Clubs Hannover nach einem Countdown zu John Lennons „Imagine“. Vorsichtig ziehe ich an dem missratenen Tütchen. „24K Gold, gekreuzt mit Fruit Bowl“ heiße die Sorte, sagt man mir, und die Fruchtigkeit schmecke ich sofort. Ein paar Minuten später hat der im Cannabis enthaltene psychoaktive Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, kurz THC, meine Blut-Hirn-Schranke überwunden und befeuert meine Synapsen. Das Gefühl einer tiefen und wohligen Entspannung durchströmt mich. Die Unbilden des nasskalten Wetters stören mich nicht mehr, mein aktuell schlimmer linker Ellenbogen ist plötzlich mein guter Ellenbogen. Und auch die Probleme, die ich in den Neunzigern hatte, treten nicht wieder auf. Das muss wohl am besonders milden Tabak liegen. Zwei, drei Züge später werden Fremde zu Freunden. Mein Redefluss und der Wunsch nach Konversation steigern sich mit jedem weiteren Zug.
Ich komme mit Carsten ins Gespräch. Der 32-jährige Systemadministrator aus Hannover erzählt mir, dass auch er schlechte Erfahrungen mit dem Rauchen von Cannabis gemacht habe. Seitdem beschränke er sich auf das Essen von selbst gebackenen Haschkeksen. Warnt aber gleichzeitig vor einer Überdosierung, da die Wirkung deutlich später einsetze als beim Rauchen des grünen Krauts und Haschisch insgesamt stärker „knallt“. „Das muss jeder für sich selbst herausfinden“, sagt er und grinst beseelt vor sich hin.
Neben mir steht Leo. Er ist 35 Jahre alt, in der Medienbranche tätig und hat den ganzen Tag Hasch-Brownies gebacken. „Ich habe Prüfungen immer nur bekifft absolviert“, erzählt er mir. Seine Prüfungsangst sei so groß, dass er meint, nur unter Zuhilfenahme von Cannabisprodukten gute Ergebnisse erzielen zu können. Für ihn klappt das, er ist mit seinen Leistungen zufrieden und macht auch sonst einen stabilen Eindruck auf mich.
Und dann ist da noch Johannes (Name geändert). Johannes kifft, seitdem er 16 Jahre alt ist. Heute ist er Mitte zwanzig und ich sehe ihm an, dass das Leben nicht immer nur die besten Karten für ihn ausgespielt hat – oder war es umgekehrt? Ihm fehlen Zähne und er hat fast bis aufs Fleisch abgekaute Fingernägel. Aber sei ganz zufrieden mit sich und vor allem mit der Legalisierung, sagt er und zieht an seinem Joint.
Ich denke zurück an meine erste Marihuanaerfahrung mit 16. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich damals dabei geblieben wäre?
Nach acht Zügen ist mein durchnässter Joint am Ende. Das langt auch. Im Gegensatz zu einem Alkoholrausch erlebe ich keinen Drehschwindel oder Übelkeit. Vielmehr fühle ich mich an dem Nana-Sockel festgemauert, an dem ich seit einiger Zeit lehne. Ich bin also „stoned“, wie der Zustand bezeichnet wird. Und paradoxerweise gleichzeitig von einer entspannten Leichtigkeit begleitet. Verglichen mit der Volksdroge Alkohol versetzt mich das Marihuana in einen weitaus angenehmeren Zustand. Ich bin eher Elf als Golem, Philosoph statt Prolet. Der Blick in die Handykamera im Selfiemodus zeigt mir: Meine Augen sind zwar nicht rot, haben sich jedoch zu schmalen Schlitzen geformt. Das sind also die berühmten Kifferklüsen.
Das Treffen an den Nanas ist friedlich, weit und breit keine Turbo-Typen, die herumpöbeln oder unangenehm auffallen. Ich stelle mir die Frage, wie sich das nächste Derby zwischen 96 und Braunschweig wohl aufseiten der Fans entwickeln würde, wenn statt Alkohol nur Cannabis konsumiert würde. Vermutlich würden sich einige der Krawallbrüder in den Armen liegen. Der Wunsch nach einer besseren Welt, für mehr Frieden und Glück ist groß in mir – Peace, Love and Happiness.
Nicht nur meine Selbstwahrnehmung hat sich durch das THC verändert. Auch das Zeitgefühl ist ein anderes. Eine halbe Stunde kommt mir vor wie zwei. Und auch der Magen meldet sich in Form eines unbändigen Hungers. Ich verlasse die Runde und steuere zu Fuß die nächste Dönerbude an. Auf das passende Bier verzichte ich, Mischkonsum soll schlecht sein. Zudem möchte ich das Erlebnis nicht verfälschen. Zufrieden lasse ich den Tag auf dem Sofa ausklingen.
Auch in diesem ausgesprochen unbeschwerten Zustand würde ich niemals auch nur auf die Idee kommen, aus reiner Bequemlichkeit selbst Auto zu fahren, auf einen E-Scooter zu steigen – geschweige denn, mich aufs Fahrrad zu setzen. So viel Verantwortungsbewusstsein und Reife muss ein jeder mitbringen, der Marihuana raucht. Öffis fahren immer, Uber, Taxis oder ein kleiner Fußmarsch tun es auch.
Der Kater am nächsten Morgen macht sich allenfalls als Kätzchen bemerkbar. Ich habe so gut geschlafen wie lange nicht mehr, die Nebel im Kopf haben sich allerdings noch nicht gelichtet. Ich fühle mich sehr entspannt, Auto oder Motorrad fahren würde ich auch an diesem Tag noch nicht. Mein persönliches Fazit? Sicherlich kann man kultiviert an einem Glas guten Weins nippen – Cannabis zu konsumieren ist nun jedoch zu einer denkbaren Alternative geworden. Die Menge macht auch hier das Gift. Sowohl in der Häufigkeit als auch in der Intensität. Allerdings glaube ich auch, dass es sich für mich mit dem Thema Rauchen endgültig erledigt hat – ich bin vermutlich eher der Glückskekstyp.