Wenn Kevin Dörr in der Zeitung von Messerattacken in oder vor Schulen liest, dann weiß er spätestens jetzt wieder, warum er seinen Job macht. Der fußballaffine Sozialpädagoge kann das verbinden, was er liebt, mit dem, was andere schützt. Indem er Jungen und Mädchen aus prekären Verhältnissen rechtzeitig abholt. Mit Sport, mit Lernförderung und Sprachunterricht, mit Spaß und mithilfe von Vorbildern versucht Dörr, den Kindern positive Weichen zu stellen. Da ist er nicht allein, denn Kevin Dörr ist angestellt bei der Per-Mertesacker-Stiftung.
„2006, da war das Sommermärchen, die WM in Deutschland“, erinnert sich lächelnd Timo Mertesacker. Timo ist der Bruder von Per. Per Mertesacker einer derjenigen, der dieses Fußballmärchen wahr werden ließ. Nationalspieler (2004 bis 2014) mit Bodenhaftung, einst ein fußballbegabter Junge aus Pattensen, der Respekt, Disziplin, Einsatz auch für andere bereits im Elternhaus mitbekam. Und der, als das Sommermärchen vorbei war, teilen wollte. Mit jenen, die es eben nicht so gut hatten.
Wie macht man das? Man gründet die Per-Mertesacker-Stiftung, die mitten in Hannover, am Schiffgraben 23, sitzt. Praktisch: „Das Haus gehört Per, hier sitzt auch unsere Immobilienfirma. Die Einkünfte des Hauses etwa durch Mieten gehen direkt in die Stiftung“, berichtet Timo Mertesacker mit etwas Stolz in den Augen.
Er leitet die Familienstiftung, die auf das setzt, was auch den Fußball ausmachen sollte: „Wertevermittlung wie Fairness und Respekt, gesundes Leben und Integration“. Das Besondere: „Jede Projektgruppe wird zehn Jahre betreut. Von der Grundschule, erste Klasse, bis zur zehnten Klasse sind die Kinder dabei.“
Mit einer Gruppe von 15 Jungen und Mädchen aus dem sozialen Brennpunkt Auf der Horst (Garbsen) fing es an, mittlerweile sind es 150 Kinder in sechs Gruppen (drei in Garbsen, eine in Roderbruch, eine in Mühlenberg und eine in Hainholz), die unterstützt werden. 60 frühere Projektteilnehmende sind bereits dank Stiftung gut durch Schulen und Sport gekommen. „Die sind alle gesellschaftlich integriert“, weiß Timo Mertesacker.
Wie funktioniert das Ganze nun? Die Mertesacker-Stiftung wird tätig an sogenannten Brennpunktschulen, Lehrkräfte dort empfehlen Schülerinnen und Schüler, die einen besonderen Bedarf haben. Sei es, weil die Eltern finanziell nicht so können, wie sie vielleicht wollten. Oder weil die Jungen und Mädchen sprachliche Defizite haben – „90 Prozent unserer Kinder haben einen Migrationshintergrund“, so Dörr.
Die fußballbegeisterten Kinder spielen meist am Wochenende, werden von Kleinbussen der Stiftung abgeholt und wieder sicher heimgebracht. Zweimal die Woche, gleich nach der Schule, werden sie zum Training eingeladen. Davor aber steht ein ausgewogenes Mittagessen – „von einem guten Caterer“, so Timo Mertesacker – und dann gibt es erst einmal individuelle Lernförderung. Vor allem die deutsche Sprache steht für die Kinder im Vordergrund: „Erst Deutsch, dann dribbeln, das ist elementar“, sagt Mertesacker. Struktur, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit sind für ihn die Zauberworte, „und die Eltern und Kinder sind uns dafür dankbar“.
Die Betreuung geht über Sprachtraining, gute Ernährung, Hausaufgabenhilfe hinaus. Vor allem für die Älteren, die Sieben- bis Zehntklässler, sollen weitere Workshops wichtige Bausteine fürs Leben vermitteln: Zum Thema Demokratie ist ein viertägiger Workshop im April im Harz geplant. Soziales Training für jene, die das möglicherweise nicht daheim mitbekommen haben: Das ist das Thema für Dörr und seine Kolleginnen – darunter eine ehemalige Grundschuldirektorin, die jetzt in Pension ist. Empathie und Demokratieverständnis wird außerdem vermittelt durch das Projekt „Helden der Straße“, in der die Kinder mit Polizisten zusammengebracht werden, denen sie Fragen stellen können. „Zum Abschluss kommt dann das Highlight“, erzählt Dörr. „Die Mädchen und Jungen spielen zusammen mit Polizisten Fußball, jedes Kind spielt mit jedem Polizisten im Team“.
Und auch das Leben nach der Schule wird angegangen. Etwa durch Bewerbungstraining und gemeinsame Info-Besuche. „Unsere zwei Mädchenteams aus Garbsen waren gerade im Klinikum Wahrendorff und haben sich angeschaut, welche verschiedenen Berufe dort möglich sind.“
Für Vorstandschef Timo Mertesacker ist das Ganze nicht nur eine Herzens-, sondern auch eine Familienangelegenheit. Bruder Per schuf die Stiftung, Vater Stefan und Mutter Bärbel sind ebenfalls im Vorstand. „Diese Werte, die wir den Kindern vermitteln wollen, haben wir ja von daheim mitgekriegt“, erzählt der 36-Jährige. „Unsere Eltern haben uns immer unterstützt.“ Und mehr: Der Vater habe immer wieder dazu geraten, „auch mal den Ball flach zu halten. Das ist für den Fußball und für das Leben gut“.
Timo und seine Brüder Per und Dennis haben insgesamt sieben Kinder – fünf allein hat Per Mertesacker, der nach seinem Karriereende 2018 die Leitung der Arsenal Academy, der Fußballakademie des FC Arsenal, übernahm. „Das wäre toll, wenn unsere Kinder unsere ehrenamtliche Arbeit fortsetzen würden. So eine Stiftung bedeutet ja im besten Falle lebenslänglich“.