„Ich bin in elf Monaten mit dem Rad hingefahren und in elf Stunden mit dem Flugzeug zurückgekehrt“, sagt Anke Hornbruch: „Das ist schon verrückt.“ Die Welt, die man so schnell durchfliegen kann, ist jetzt anders für sie. Für sie sind die Länder, die viele höchstens vom Namen her kennen, jetzt mit Leben gefüllt, mit Menschen, besonderen Begegnungen und außergewöhnlichen Erfahrungen.
Das Radreisen hat bei ihr Tradition: Zunächst mit ihren Kindern in der Umgebung, später, als beide ausgezogen waren, sind die Touren von Anke Hornbruch länger geworden, rund um Zypern, von Kroatien nach Griechenland, entlang der Elbe und Nordsee oder einmal um die Ostsee waren einige der Ziele. Und so reifte der Plan, ein Jahr unterwegs zu sein.
Als Lehrerin konnte sie dafür relativ problemlos ein Sabbatjahr nehmen. Das Packen dagegen war eine Herausforderung: Was nimmt man mit, worauf verzichtet man? Kochgeschirr, Werkzeug, Kleidung, Schlafsack, Luftmatratze, Hängematte, Zelt. Einen Luxusgegenstand gönnte sie sich: einen Campingstuhl. „Wenn man den ganzen Tag auf dem Rad gesessen hat, möchte man abends auch mal schön sitzen, besonders, wenn der Boden feucht und kalt ist!“, sagt sie und lacht. Allerdings verlor er an Bedeutung – wegen der vielen Länder, in denen man immer auf dem Boden sitzt.
Das mit Gepäck beladene Fahrrad – ein Rad mit Stahlrahmen und Rohloff-Schaltung – wiegt zwischen 50 und 60 Kilo. Sie schläft am liebsten einsam in der Natur, empfindet das als sicherer. „Zelten ermöglicht eine große Unabhängigkeit – ich kann fahren, so lange und so weit ich will und mag“, sagt die Lehrerin. Auf der Reise dreht sich das aber etwas, in einigen Ländern ist es besser, „im Schutz der Gemeinschaft“ zu ruhen.
Schon allein die Reiseroute liest sich beeindruckend: Start ist im Februar 2023 in Hannover, durch Deutschland geht es zur Donau. Dem Fluss folgt sie 2000 Kilometer lang über Österreich, Slowakei, Kroatien, Serbien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, die Ukraine zum Donaudelta bis ans Schwarze Meer. Dann fährt sie bis in die Türkei.
Wie weit sie wirklich kommen will, hat sie offengelassen: „So konnte ich mich auf die Länder einlassen, auch mal länger bleiben.“
Sie genießt ihre Fahrt ohne Stress, im türkischen Kappadokien bleibt sie mehrere Tage, weil der Sonnenaufgang, bei dem viele Heißluftballons aufsteigen,so schön ist. Sie trifft viele Menschen, lässt sich von deren Leben erzählen, deren Träumen, Hoffnungen. Immer wieder trifft sie auf Türken, die Deutsch sprechen und die in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Es ist interessant, deren Perspektive auf beide Länder zu erfahren.
Anke Hornbruch spricht Englisch, vor der Reise hat sie etwas Türkisch gelernt. Damit kommt sie relativ weit, bis Nordchina sind die Sprachen dem Türkischen ähnlich. In den anderen Ländern hat sie sich vor Ort die wichtigsten Vokabeln angeeignet: Begrüßungen, Danke, Fahrrad, Deutschland, Lehrerin, die Zahlen. „Zum Glück gibt es Google-Übersetzer“, erzählt sie. Sie radelt nach Georgien, trifft dort ihre Eltern, die Wanderurlaub machen und beide in dem Jahr den 80. Geburtstag feiern.
„Das Wandern mit meinen Eltern hat mir so gut gefallen, dass ich zurück in die Türkei gefahren bin, um auf den Berg Ararat zu steigen.“ 5165 Meter misst der höchste Berg der Türkei – ein besonderes Erlebnis. Bergsteigerstiefel hat sie nicht, ihre Radschuhe müssen reichen. Auf dem Gipfel trifft sie andere Bergsteiger aus dem Iran, die ihr vom Damavand, mit 5610 Metern der höchste Berg ihres Landes, vorschwärmen. Auch ihn wird sie besteigen.
In Armenien beeindruckt sie die bergige Landschaft. Dann fährt sie durch den Iran. Sie folgt der Seidenstraße, alleine und als Frau. Sechs Wochen bleibt sie da. Sie ist fasziniert von den Frauen, deren Lebensfreude und Zusammenhalt. Sie genießt die Gastfreundschaft der Menschen, ihre Hilfsbereitschaft, ihre Offenheit. Oft wird sie eingeladen, bekommt Einblicke in die Familien. Angst hat sie nicht: „Ich habe mich immer sicher gefühlt.“. Sie passt sich an, trägt Kopftuch. Der Iran ist so überraschend anders als erwartet, ihn zu verlassen, fällt nicht leicht.
Und jedem Abschied wohnt ein Neuanfang inne: Weiter geht es durch Turkmenistan – den größten Teil der Strecke mit Auto und Guide, das ist hier Vorschrift – und durch Usbekistan mit den Wüsten und berühmten Städten wie Ashgabat und Samarkand. Sie bricht sich eine Rippe, zum Glück heilt diese gut.
Dann fährt sie durchs Pamirgebirge in Zentralasien, ein Traumziel von ihr. Auf der zweithöchsten befahrbaren Straße der Welt radelt sie durch faszinierende Landschaften – körperlich wie mental braucht sie hier besondere Fähigkeiten. „Ich kann gut mit wenig Essen auskommen, weder Kälte und Einsamkeit machen mir etwas aus“, erzählt sie: „Zum Glück, denn im Pamirgebirge waren meine einsamsten fünf Tage im absoluten Nichts. Und nachts im Zelt waren es minus 15 Grad.“ Inzwischen ist es Oktober. „Es ist der Monat mit den wenigsten Ruhetagen, aber auch den wenigsten gefahrenen Kilometern – das lässt Rückschlüsse auf meine Strecke zu“, erzählt sie.
Im November erreicht sie China, ihr 19. Land. Eine neue Erfahrung: „In den Ländern bisher kamen die Menschen neugierig auf mich zu, sobald ich anhielt. In China musste ich auf die Menschen zugehen. Das war manchmal schwierig“, erzählt sie. Ein Stück fährt sie mit dem Zug Richtung Süden und Wärme, eine gute Entscheidung. So fängt das Land sie doch noch ein: „China ist das Land, in dem ich am meisten Zeit verbracht habe. Doch es reicht nicht, um all die Schönheiten, Landschaften, Sehenswürdigkeiten und Menschen zu würdigen.“
Sie sieht Hongkong, umrundet die Insel Hainan, genießt hier das Ende der Reise und bucht ihren – elfstündigen – Rückflug. „Am Ende habe ich mich sehr auf mein Zuhause gefreut!“ Mit nur etwa 4000 Euro, inklusive Rückflug, ist sie in diesem Jahr ausgekommen.
In Hannover wird sie jetzt wieder als Lehrerin an der Glocksee-Schule arbeiten. Und ihren Reiseblog „Going and Flowing“ zu Ende schreiben. „Ich habe mich immer wieder auf der Reise gefragt: Was gebe ich zurück? Ich habe Familien und Englischlehrerinnen unterstützt. Doch vor allem glaube ich, dass es dort, wo ich mit meinem Rad war, viel Inspiration und Motivation hintergelassen hat . Ich habe gerade auch im Iran mit vielen Mädchen und Frauen gesprochen, und vielleicht so auch eine Idee davon vermittelt, was man im Leben – auch als Frau – tatsächlich machen kann.“