Friedrich – es war sein Deckname, selbst Ute Friese kennt den wahren Namen nicht – wünschte sich nichts sehnlicher als einen Computer, um etwas Ablenkung im Krankenhaus zu haben. „Eine Psychologin sprach mich an, dass sie ein Kind mit einem Wunsch habe, es aber anonym bleiben müsse“, erzählt Friese. „Das war mir egal, ich wollte dem Jungen helfen, hörte mich um und bekam von Media Markt einen Computer sogar geschenkt.“ Die Psychologin übergab den PC – es war das allererste Kind, das Friese so glücklich machte.
1998 gründete sie die„Aktion Kindertraum“. Ihre Motivation: „Ich hatte Zeit und wollte etwas Sinnvolles tun“, sagt sie. „Uns ging es gut, mein Mann verdiente genug, wir hatten ein kleines Haus, die Tochter einen Krabbelgruppenplatz. Ich muss keine Reichtümer ansammeln, brauche kein schnelles Auto“, sagt sie: „Als ich 17 Jahre alt war, starb plötzlich meine ältere Schwester. Sie ist einfach umgekippt. Da habe ich gelernt, wie vergänglich das Leben ist.“
Nach dem Abitur studierte Ute Friese auf Lehramt, wurde aber wegen eines Einstellungsstopps für Lehrerinnen und Lehrer Texterin in einer Agentur für Sozialmarketing. Bis zur Geburt ihrer Tochter Sina war sie mit dem Fundraising für wohltätige Organisationen betreut. So kannte sie sich im karitativen Bereich aus. „Dabei entdeckte ich, dass es meine Idee, schwer kranken Kindern Wünsche zu erfüllen, bisher nicht gab. So gründete ich 1998 im Gästezimmer von unserem Haus die ,Aktion Kindertraum’. Ich hatte einen Computer, ein Telefon und ein Fax“, erzählt sie von den Anfängen. Was ihr half: Sie ist eine gute Networkerin, sie überlegt nicht lange oder zweifelt gar, sondern nutzt ihre Kontakte und handelt. „Zunächst am schwierigsten war, die Kinder mit ihren Wünschen zu finden. Meine Organisation kannte ja niemand.“ Heute sind es 250 Wünsche, die sie pro Jahr erfüllt.Dafür trifft sich die inzwischen 62-Jährige immer dienstags mit ihrem Team, berät über neue Wünsche und schaut, wie die Umsetzung der anderen voranschreitet. „Jeder Fall wird individuell betrachtet, wir arbeiten unbürokratisch und schnell. Wir erfüllen die Wünsche komplett und geben nicht nur das Geld dafür. Die Familien müssen nur einen Fragebogen ausfüllen, mehr nicht.“
Und das ist manchmal eine echte Herausforderung – nicht nur finanziell: Der todkranke Daniel, zum Beispiel, war sich sicher, dass er, wenn er stirbt, von Engeln auf Wolken zum Weihnachtsmann gebracht wird, um bei ihm als Weihnachtsmanngehilfe in die Lehre zu gehen. „Er wollte seinen künftigen Arbeitgeber schon einmal vorab treffen“, erzählt Friese. Mit dem Zug – schon das war für den Jungen im Rollstuhl eine aufregende Premiere – reiste der Achtjährige nach Hannover. „Es war kurz vor Weihnachten, wir sind mit Daniel auf den Weihnachtsmarkt gegangen. Da alle professionellen Weihnachtsmänner bereits ausgebucht waren, haben wir einen Schauspieler gefragt – unser Glück! Die beiden haben sich super verstanden und an einer Bude Kakao getrunken. Dann ertönte Musik und der Weihnachtsmann hat sich das Kind mit dem Rollstuhl genommen und auf dem Weihnachtsmarkt Rock ’n’ Roll getanzt – das Bild werde ich nie vergessen! Daniel war überglücklich und wir waren dabei, als es diesen wunderschönen Moment für ihn gab.“Wünsche wie von der kleinen Esma nach einem Tablet sind konkreter. Andere Kinder wünschen sich Begleithunde oder Ausflüge, wie eine Fahrt ins Legoland oder zum Meer. Nur wenige Wünsche konnten nicht erfüllt werden. „Ein Kind wollte auf einen Kran. Doch es saß im Rollstuhl und wir hatten keine Chance, es sicher über die Treppen zur Kabine hochzubekommen“, erinnert sich Friese.
Immer wieder wollen Kinder Prominente treffen. Ute Frieses Erfahrung: „Kein Problem ist das, wenn die Menschen wirklich prominent sind, dann ist dort meist ein professionelles Management dahinter. Schwieriger wird es, wenn es Prominente aus dem Influencer-Bereich sind.“ Ein Prominenter ist seit seinem ersten Treffen vor über 20 Jahren dabei geblieben: Ex-Tennisprofi Nicolas Kiefer. Bei einem Tennis-Charity-Event für „Aktion Kindertraum“ lernte er ein Brüderpaar kennen, das eine schwere, genetisch bedingte Muskelerkrankung hatte. Der jüngere Bruder wollte Michael Schumacher treffen, der ältere in die USA reisen. „Ein dreiviertel Jahr nach dem Charity-Event rief Nicolas Kiefer bei mir an und erkundigte sich nach den Jungen“, erzählte Ute Friese. Sie war überrascht: Kein Promi hatte je nachgefragt.
Doch sie hatte traurige Nachrichten: Der ältere Bruder war kurz vor Antritt der Reise gestorben, Philip, der jüngere, hatte durch den Schock einen Krankheitsschub bekommen und saß jetzt im Rollstuhl. Aber immerhin: Er hatte sein Idol getroffen. „Ich wollte ein paar Tage später hinfahren und mir die Fotos anschauen. Da sagte Nicolas Kiefer spontan, dass er mitkommen würde, da er gerade Turnierpause hätte.“
Mehr noch: Kiefer überredete den Jungen, mit ihm ein paar Bälle zu schlagen: „Deine Arme kannst du ja noch bewegen!“ Die beiden trafen sich danach immer mal wieder, zum Schluss spielten sie mit Softbällen Tennis, weil Philips Kraft nicht mehr ausreichte. Kiefer blieb der Organisation als Schirmherr treu. Bis heute.
Ein weiterer prominenter Hannoveraner engagiert sich ebenfalls: Musikproduzent Mousse T. ist Botschafter vom Musik-Projekt „Aus der Stille in den Klang“. „Hier lernen hörgeschädigte Kinder mit einem Cochlea-Implantat, Musik klangvoller zu hören. Sie lernen sogar, Instrumente zu spielen“, erläutert Friese.
Bis heute wird Ute Friese nicht müde, Spenden zu sammeln, um Kindern zu helfen. 2023 ist sie mit einem Wohnmobil durch Deutschland gefahren und hat Kur- und Heileinrichtungen besucht, um vor Ort zu informieren. Jetzt ist die Organisation in größere Räume an die Georgstraße 48 umgezogen. „Es ist schön zu sehen, wie ,Aktion Kindertraum’ wächst und die Idee weiterträgt – auch wenn ich mich irgendwann mal zurückziehen sollte“, sagt Friese. „Wir werden alle sterben, ich kann nichts mitnehmen. Die Arbeit mit den Kindern aber erdet: Allein, wenn man sieht, wie sie mit purer Lebensfreude ihre Zeit erleben.“