.„Wir wollen dazu beitragen, dass es künftig in unseren Städten weniger Autos gibt und damit mehr Platz für schönere Dinge“, erklärt der aus der Region Hannover stammende Gründer Stephan Kochen. Großes Potenzial gebe es aber auch auf dem flachen Land. Fakt ist: Je ländlicher, umso lückenhafter wird das bisher bestehende Angebot von Carsharingfirmen.
Das Angebot von „Leih dir mein Auto“ funktioniert unabhängig vom Standort. Wer seinen (Zweit-)Wagen besser auslasten möchte, meldet sich online bei der Plattform an und gründet eine sogenannte Carsharing-Community gemeinsam mit vertrauten Personen, die das Fahrzeug ausleihen dürfen. Um zwischenmenschlichem Ärger im Falle eines Schadens vorzubeugen, „stülpen wir eine Extraversicherung über das Auto“, erklärt Kochen. Diese Schutzhülle umfasst nicht nur Haftpflicht-, Teil- und Vollkaskoversicherung, sondern sie schützt auch den Schadenfreiheitsrabatt des Fahrzeughalters.
Terminanfrage und Buchung werden per App abgewickelt, ebenso die Zahlung der Versicherungs- und Servicepauschale – je nach Fahrzeuggröße zwischen 9,90 und 19,90 Euro pro Tag. Den Autobesitzer kostet die Transaktion nichts. Welche Gegenleistung er bekommt, machen Ver- und Entleiher unter sich aus – egal, ob in Form einer Kostenübernahme, kleiner Hilfsdienste oder einer Einladung zum Abendessen. Eine kommerzielle Vermietung ist tabu.
„Leih dir mein Auto“ bekommt einen Teil der Servicepauschale – das ist das Geschäftsmodell. Zwei Jahre Vorarbeit und eigenes Geld hat die von drei Wahlberlinern gegründete Firma in Konzeption, App und Internetauftritt investiert. Gründer Kochen, Betriebswirt mit Design-Thinking-Studium, ist in der Mobilitätswelt schon länger unterwegs und hat zuvor als Gründungsberater an Sharingangeboten großer Autokonzerne und der Bahn mitgewirkt.
Persönlich habe er nie ein gutes Gefühl dabei gehabt, dass sein Auto für die wenigen Male, die er es nutze, so viel Platz auf der Straße wegnehme und Geld koste, sagt Kochen. „Ich habe es deswegen immer gerne an Freunde verliehen, bis ich herausfand, dass ich das laut meiner Versicherung eigentlich gar nicht darf.“ Das sei der Anstoß zur Gründung von „Leih dir mein Auto“ gewesen. Dass Haftungsrisiken, lästige Versicherungsformalitäten und Angst vor Scherereien Freunde und Nachbarn daran hindern, sich gegenseitig zu helfen - dieses Dilemma wollten Kochen sowie seine Mitstreiter Simon Stellwag und Daniel Seebach mit ihrem Geschäftsmodell aus der Welt schaffen.Seit wenigen Tagen ist ihre neue Verleihplattform nun freigeschaltet. Der nach eigener Auskunft drittgrößte Autoversicherer Deutschlands (2022: 7,97 Millionen KfZ-Verträge) wird den Versicherungsschutz stellen. Die Carsharingapp sei eine Innovation, die Kooperation biete ein interessantes Testfeld für die Themen Neue Mobilität und Nachhaltigkeit, erläutert Michael Nitsche von der VHV. „Nicht jeder kann und will mehr ein eigenes Auto haben.“ „Leih dir mein Auto“ biete auf diesen Trend eine schlanke Antwort. Sich unter Freunden auszuhelfen – das werde seinen Markt finden.
Wird das Portal für freundschaftliches Autoverleihen also einen Nerv treffen? Die großen Verkehrsclubs schätzen dies durchaus unterschiedlich ein. Besonders auf dem Land, wo öffentliche Verkehrsmittel viele Mobilitätsprobleme nicht lösen könnten, sei der Bedarf groß, sagt Stephan Oldenburg vom gemeinnützigen Umweltverband Verkehrsclub Deutschland (VCD). Bisher habe die Versicherungswirtschaft leider wenig Bereitschaft zu niedrigschwelligen Lösungen für privates Carsharing gezeigt. „Chapeau, dass endlich jemand einen Weg und einen Versicherer gefunden hat, der zu einer solchen Innovation bereit ist“, erklärt Oldenburg. „Das werden wir unterstützen.“
Skeptischer klingt die Einschätzung des ADAC. „Das Angebot auf dem Land ist gering, aber auch die Nachfrage. Auf dem Land besitzen viele Menschen ein Auto, viele auch zwei. Hier stellt sich das Thema kaum“, erklärt Sprecher Andreas Hoelzel. Gleichzeitig erkennt der Club aber an, dass, „würden die offenen rechtlichen und versicherungstechnischen Aspekte“ geklärt, privates Carsharing eine kostenlose Mobilitätsoption biete. Besonders für den ländlichen Raum gelte dies, weil dort weder ein guter öffentlicher Nahverkehr noch klassische Carsharingangebote vorhanden seien.
Umwelt- und verkehrspolitisch besteht Bedarf an Innovationen: Denn statt weniger werden die Privatfahrzeuge immer mehr. Das Kraftfahrt-Bundesamt eruierte ein Allzeithoch zum vergangenen Jahreswechsel: 48 Millionen Personenwagen, die laut Umweltbundesamt (UBA) 23 von 24 Stunden pro Tag ungenutzt herumstehen.
Daran haben auch die Carsharingangebote, die es seit 35 Jahren in Deutschland gibt, bisher nichts ändern können, obwohl sich die Zahl ihrer registrierten Nutzer laut UBA zwischen 2011 und 2022 auf fast 4,5 Millionen Menschen verzwölffacht hat. In 1082 Städten und Gemeinden (Stand 2022) stellten 249 Carsharinganbieter insgesamt 33.930 Fahrzeuge bereit, berichtet der Bundesverband Carsharing. Aber schon in jeder zweiten Kommune unter 50.000 Einwohner sucht man Carsharingangebote vergebens.