An der Leonore-Goldschmidt-Schule in Hannover-Mühlenberg steht seit diesem Schuljahr ein Passus zu angemessener Kleidung in den Schulregeln – allerdings nicht als Anordnung von oben, sondern angeregt aus der Schülerschaft, also quasi von unten, wie Schulleiter Michael Bax erzählt. Das Thema sei von der Schülervertretung aufgebracht worden und in einem „spannenden langen, gemeinsamen Prozess“ in einer Arbeitsgruppe habe man sich dann auf folgende Formulierung geeinigt: „Ich trage keine Bekleidung mit diskriminierendem oder provozierendem Aufdruck, ich halte mein Gesicht vollständig unbedeckt, um eine ungehinderte Kommunikation zu ermöglichen, ich beachte Hygiene, ich trage Bekleidung, die den Umgang und das Lernen miteinander nicht stört und das Schamgefühl anderer nicht verletzt.“
Angemessen sei das, was die Schamgrenze des anderen nicht verletze, sagt Bax. Aber das beurteile eben jeder anders. Für Karla (15) ist ein leuchtend blaues Italien-Trikot genau richtig, für ihre Mitschülerin Marcella ein Hidschab und eine Abaya mit Weste. In vorgeschriebener Kleidung würden sie sich nicht wohlfühlen, sagen beide.
Schuluniformen befürworten die wenigsten Jugendlichen. Kleidung sei Ausdruck der eigenen Individualität, diese Freiheit sollte man nicht einschränken. Alejna (17) sagt, sie achte schon darauf, dass sie „gescheit angezogen sei“. Aber es sei eben auch Sommer, und da kleide man sich auch mal luftiger. Schülerinnen berichten, dass sie, wenn sie bauchfreie Tops tragen, von Lehrkräften öfters gebeten würden, eine Jacke überzuziehen.
Lia (17) stellt klar: „Ich bin ein Teenager, ich bin in der Schule, ich möchte mich ausprobieren.“ Und Emily (17) ergänzt, sie wisse sehr wohl, dass sie sich im Job vielleicht anders anziehen müsste. Aber in der Schule solle man doch auch etwas tragen, in dem man sich wohlfühle und gut lernen könne. „Niemand dreht durch, nur weil eine Schülerin bauchfrei trägt“, sagt sie. Auch Käppis seien bei den meisten Lehrkräften okay, solange sie nicht zu tief ins Gesicht gezogen seien, sagen Alex und Peter (beide 15). Außerdem gebe es auch Lehrer, die selbst welche tragen.
Zwölftklässlerin Tanja (19) hat früher in der Ukraine selbst eine einheitliche Schulkleidung anziehen müssen: „Schwarze Hose oder Rock, weißes Oberteil.“ Und sie ist froh, dass sie das nicht mehr muss. Parisa (18) widerspricht: eine Uniform könne auch Entscheidungshilfe sein. „Dann wüsste ich, was ich anziehen müsste und müsste nicht jeden Tag vor dem Schrank stehen und neu überlegen“, sagt sie.
Wenn muslimische Schülerinnen sich auf einmal verhüllten, dann sollte man sie ruhig darauf ansprechen und nachfragen, warum, sagt Schulpastor Stefan El Karsheh. Aber aus echtem Interesse und nicht mit dem klaren Urteil im Kopf, dass sie dazu gezwungen worden seien.
Soncan Somji, Schulsozialarbeiter an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Linden, findet, dass Schuluniformen eine gute Option wären. Als Schüler in Istanbul habe er selbst einige Jahre einheitliche Kleidung tragen müssen: „Das habe ich als sehr positiv empfunden, das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl haben sich dadurch gestärkt.“ Einen Verstoß gegen die Selbstbestimmung sieht er darin nicht: „Schule ist kein privater Bereich. Im privaten Bereich können alle selbst entscheiden, was auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sicherlich von großer Bedeutung ist. Aber es gehört auch zur Erziehung und Sozialisation, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, was öffentlicher Bereich und privater Bereich bedeuten und somit sich auch aneignen, dass es in öffentlichen Bereichen keine grenzenlosen Freiheiten gibt.“
An der Tellkampfschule in der Südstadt sind die Jugendliche klar dagegen: „Wir müssen uns ausprobieren“, sagt Rune (17). Und Samuel (17) meint: „Kleidung ist ein starkes Ausdrucksmittel.“
Das sieht auch Mads (16) so. Und solange alles im legalen Rahmen bleibe, gebe es auch kein Problem. Freizügige Kleidung sei eher ein Problem der Betrachter als der Träger. Man könne erwarten, dass Männer, die Frauen Vorwürfe machten, dass sie zu knapp bekleidet seien, sich selbst zügelten.
Über Kleidung stelle man sich als Individuum quasi vor, sagt Imanuel (19): „Mit Kleidung erweckt man den ersten Eindruck.“ Allzu provokante Sachen könne man weglassen. Vom Argument, dass einheitliche Kleidung vor Mobbing schütze, hält er nicht viel: Dann würden sich Schüler eben über andere Sachen abgrenzen, zum Beispiel durch Schmuck. An der Tellkampfschule werde man wegen seiner Kleidung nicht geärgert, sagen die Jugendlichen. Man sei eben tolerant.
Jule (17) sagt, wenn es einheitliche Kleidung gebe, dann müsste das für alle Schulen landesweit gelten, und nicht nur dort, wo Kinder wegen Kleidung gehänselt werden: „Dann sitzt man zusammen mit anderen in einer Bahn und sieht sofort, an welcher Schule es Probleme gibt.“
Schulleiter René Mounajed sagt, grundsätzlich dürfe die Kleidung den Schulfrieden nicht stören und alle müssten sich wohlfühlen: Was zulässig sei und was nicht mehr, sei immer eine Einzelfallentscheidung. „Es bleibt ein sensibles Thema, dem man am besten mit Respekt und Verständnis begegnet.“