Etwa 100 Beschäftigte arbeiten täglich auf der bemerkenswertesten Straßenbaustelle Niedersachsens, von der Ingenieurin bis zum Baggerfahrer. Im Moment ist das zentrale Projekt, die nördliche Schlitzwand für den Tunnelbau ins Erdreich zu bringen. Einen Kilometer lang zieht sie sich entlang Zeiß- und Willmerstraße.
Einen Meter Breite und bis zu 30 Meter Tiefe misst das unterirdische Betonwand-Bauwerk. Ihm kommt in Kürze eine doppelte Funktion zu: Erstens stellt es natürlich eine der beiden Seitenwände dar, zwischen denen später der Tunnelbau passieren wird. Kurzfristig aber wird es auch einen Teil des Fundaments darstellen, auf dem die provisorische Stahlbrücke lastet, die den Verkehr des Südschnellwegs aufnehmen soll, wenn die marode Ursprungsbrücke möglichst bald im neuen Jahr abgerissen wird. Alles greift hier ineinander.
Es ist ein gigantisches Bauprojekt, mitten in einer Großstadt. Die Kosten nur für diesen Abschnitt der Schnellwegerneuerung waren schon vor Baubeginn von ursprünglich geschätzten 250 auf fast 400 Millionen Euro geklettert. Es gab Streit zwischen Baufirmen um die Ausschreibung und einen gescheiterten Versuch der Landesregierung, den Konflikt um die Breite des Schnellwegs im weiteren Verlauf der Leinemasch zu entschärfen. Aber am Tunnel wird jetzt gebaut.
Wie kompliziert solch eine Baustelle ist, lässt sich vielleicht am ehesten an dem erklären, was nun in wenigen Wochen bevorsteht. Die Bauteams arbeiten ständig parallel in drei Teilabschnitten an der Schlitzwand. Die Schützenallee, wichtige Verbindung zwischen Maschsee und Döhren, ist bis Mitte Oktober voll gesperrt. Auf der Hildesheimer Straße hingegen rollt der Verkehr, wenn auch sehr eingeschränkt.
Aber in Kürze muss auch unter den derzeit benutzten Fahrspuren der Hildesheimer Straße gegraben werden. Dazu muss dann die gesamte Fahrbahn verschwenkt werden – ein Mammutvorhaben. Trotzdem ist Oberbauleiter Jan-Niklas Wintjes sicher, dass die Arbeiten an der Schlitzwand „im November oder Dezember abgeschlossen“ sein werden. So ganz genau könne man das nie wissen. „Immer wieder finden wir Überraschungen im Boden“, sagt Wunderling.
Überraschungen – das sind keine spektakulären archäologischen Funde, auch wenn das Landesamt für Denkmalpflege den Bau intensiv begleitet. Die Überraschungen sind zahllose Rohre, Leitungen und Verbindungen im Untergrund, die teils gar nicht in Plänen verzeichnet waren, teils an anderer Stelle liegen. „Leitungspläne sind eben immer nur so gut, wie es den Ausstellern früher nötig erschien“, sagt Wunderling.
Jedes Abwasserrohr, jedes Stromkabel, jeder Telefondraht und jede Gasleitung müssen einzeln zunächst für die Dauer der Bauarbeiten verlegt werden. Später führen sie in der Deckschicht über den Fahrstreifen des Tunnels hinweg, aber bei den Bauarbeiten stören sie nur.
Das Einbringen der Schlitzwand selbst folgt einem komplizierten System. Wer jemals im eigenen Garten Erde ausgeschachtet hat, weiß, dass man nicht 30 Meter tief graben kann, ohne dass viel Erdreich aus den Seiten ins Loch bröselt. Deshalb wird, während der 120 Tonnen schwere Schlitzwandgreifer mit seinem Baggermaul den Schacht immer tiefer gräbt, ein Schlammgemisch in die Baugrube eingebracht, das zwar flüssig bleibt, aber wegen seiner dickflüssigen Konsistenz die Baugrube stabilisiert.
Auf der Baustelle nennen sie das Material „Stützpudding“, aber offiziell heißt es Bentonit. Es ist ein natürliches Tonmineral, das sehr gut Wasser aufnimmt und quillt. Dieses Bentonit.wird in einem Kreislauf immer wieder verwendet
Das ehrgeizige Ziel jedoch, noch in diesem Jahr die provisorische Ersatzbrücke installiert zu haben, damit der Abriss der alten Brücke beginnen kann, ist nicht mehr zu halten. Aber die Vorbereitungen laufen: „Die Produktion der Stahlelemente für die Brücke hat begonnen“, sagt Wunderling.
Wenn sie steht, wird vieles leichter. Die alte Brücke kann abgerissen werden, auf dem Baufeld ist endlich mehr Platz. Das ist auch nötig: Die Arbeit mit der Schlitzwand wiederholt sich dann auf der südlichen Seite des Schnellwegs erneut, bevor mit der eigentlichen Arbeit des Tunnelbaus begonnen werden kann.
Bis zum Ende des Jahrzehnts wird der Tunnelbau dauern – mindestens. So lange wird es auch zu Verkehrsbehinderungen auf der wichtigen Südverbindung kommen, weil die Hildesheimer Straße mehrfach verschwenkt werden muss. Im Grundsatz aber soll der Verkehr, abgesehen von einigen Kurzzeitsperrungen, immer fließen können.
Die derzeitige Vollsperrung der parallel verlaufenden Schützenallee dauert noch bis zum 21. Oktober. Eine fast drei Meter hohe Sand- und Erddüne versperrt die Durchfahrt. Sie ist nötig, damit die schweren Baufahrzeuge rangieren können. Später wird der Tunnel bereits unter der Schützenallee hindurchführen.
Dann soll der gesamte Bereich der Willmerstraße, in dem jetzt lautstark Verkehr auf Höhe des ersten Stockwerks an Wohnhäusern vorbeibrummt, zu einer städtebaulichen Oase aufgewertet werden. Aber bis dahin muss noch viel Beton in den Untergrund von Döhren fließen – mindestens bis zum Ende des Jahrzehnts.