Die exklusive Auswahl hat ihren Preis – heute mehr denn je. „Hausgemachte Pasta Hähnchen“ kostet pro Portion beispielsweise 26 Euro. Wer die gleiche Speise 2019 bestellte, vor Ausbruch der Corona-Pandemie mit den Lockdowns für Restaurants und vor dem Krieg in der Ukraine, zahlte für dasselbe Gericht nur 17 Euro. Das macht eine Preiserhöhung von etwas mehr als 50 Prozent in vier Jahren. Andere Preise für Speisen haben die Betreiber ebenfalls angehoben. So kostete die Rinderroulade 14 Euro, heute ist sie für 19 Euro zu haben. Die Vorspeise „Avocado Ziege“ hat sich von 12 auf 16 Euro um ein Drittel verteuert.
Die Kleine Burg ist bei Weitem kein Einzelfall. Der Restaurantbesuch – ein kleiner, gelegentlicher Luxus auch für diejenigen mit weniger üppigem Einkommen – ist quer durchs Land deutlich teurer geworden. Nicht nur in der gehobenen Fine-Dining-Kategorie, sondern auch bei Imbissen, dem Italiener um die Ecke, der Weinbar und dem Ratskeller, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Jeder, der regelmäßig Restaurants besucht, wird das Gefühl kennen: Die Inflation, sie schlägt auch beim Essengehen zu.
Um dieses Gefühl in Zahlen zu fassen, hat das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sich die Preisentwicklung von 107 Restaurants in ganz Deutschland angeschaut. Dafür wurden die Preise von jeweils drei gleich benannten Gerichten auf den Speisekarten vor der Corona-Pandemie (Mitte 2018 bis Anfang 2020) mit denen der aktuellen Speisekarten verglichen. Basis dafür waren die jeweils auf der Website damals und heute veröffentlichten Speisekarten.
Auch wenn es sich um keine repräsentative Studie handelt und Restaurants, die online keine Karten oder keine Preise ausgewiesen haben, vom Vergleich ausgenommen sind, zeigt sich eine klare Tendenz: Im Schnitt wurden die Gerichte in den vergangenen vier Jahren um 27,2 Prozent teurer. Mehr als 80 der 321 geprüften Gerichte kosten laut Speisekartenauswertung mehr als ein Drittel mehr als noch vor vier Jahren, vereinzelt sind die Speisen sogar fast doppelt so teuer geworden.
Warum ist das so? Und: Sind diese Erhöhungen gerechtfertigt? Wer bei den Betreibern der Kleinen Burg in Oldenburg nachfragt, hört viel von ganz eigenen Inflationssorgen. Früher, da gab es eine Kiste Tomaten auf dem Großmarkt auch einmal für 5 Euro. Heute seien es gut und gerne 20 Euro, sagt Gastronom Stephen Willms. Fisch und Fleisch, Weizen und Teigwaren, Gemüse und Obst – überall sei es das gleiche. „Wenn ich die Kostensteigerung bei uns sehe, müssten wir bei manchen Gerichten die Preise fast verdoppeln, um annähernd den gleichen Gewinn wie vor Corona zu haben.“
In der RND-Untersuchung mit drei Speisen kommt die Kleine Burg auf eine durchschnittliche Preissteigerung von 40,4 Prozent. Gleichzeitig jedoch, so beteuert es das Kleine-Burg-Team, sei die Gewinnmarge sogar geschrumpft. „Wir müssen die Preise anpassen, um wirtschaftlich handlungsfähig zu sein“, sagt Willms, „aber es ist ein schmaler Grat, denn die Inflation trifft jeden, auch unsere Gäste. Den Effekt, den eine Preisanpassung hat, muss man immer abschätzen.“ Die Frage, die sich Restaurantbesitzerinnen und -besitzer in diesen Monaten quer durchs Land stellen, ist also heikel: Wie viele der gestiegenen Kosten lassen sich auf die Gäste umlegen? Wann bleiben die Gäste einfach zu Hause, statt die erhöhten Rechnungen zu begleichen?
Und, so zumindest die oft zu hörende Perspektive von immer mehr Restaurantgästen: Wo hören die Preiserhöhungen wegen gestiegener Betriebskosten auf, und wo fängt die sogenannte Gierflation an? Jüngst hatte Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut Preissteigerungen analysiert und kam zu dem Schluss: „Unternehmen im Gastgewerbe und Verkehr haben ihre Preise deutlich stärker erhöht, als es aufgrund der gestiegenen Vorleistungspreise allein zu erwarten gewesen wäre“, wie der Bayerische Rundfunk meldete. Schlagen also manche der Restaurantbesitzerinnen und -besitzer bei der allgemeinen Verwirrung um Verteuerungen gleich noch ein paar Prozente extra drauf?
Die Gastronomie hingegen verweist auf gestiegene Kosten. Denn ähnlich wie Privathaushalte ist auch die Branche von den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der folgenden Energiekrise betroffen, wobei der Energieverbrauch von Restaurants um ein Vielfaches höher ist. Kochen, Heizen, Lüften, Beleuchten, Spülen und Kühlen – ohne Strom, Gas und Öl geht in den Küchen und Gasträumen so gut wie nichts.
Mit etwa zwölf Kilowattstunden je Gedeck gibt der Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) den durchschnittlichen Energiebedarf von Restaurants an. Lag der durchschnittliche Strompreis für Gewerbekunden 2020 noch bei knapp 18 Cent je Kilowattstunde, verteuerte er sich nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs auf 53 Cent. Allein die Energiekrise habe in dieser Zeit die Kosten je Teller um 4,20 Euro in die Höhe getrieben.
Inzwischen hat sich die Lage bei Strom und Gas auch dank staatlicher Energiepreisbremsen zwar wieder beruhigt, dafür treiben nun steigende Lebensmittelpreise die Kosten der Gastronominnen und Gastronomen. Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass Nahrungsmittel zwischen Januar 2020 und Mai 2023 um 31,7 Prozent teurer geworden sind. Besonders betroffen sind Grundnahrungsmittel wie Mehl (+ 58,7 Prozent), Zucker (+ 80,7), pflanzliche Fette wie Öl (+ 87,9) und Margarine (+ 68), Teigwaren (+ 45,8) sowie Milch- und Molkereiprodukte (+ 46,3).
Wenn alles teurer wird, steigt auch der Druck auf die Löhne. 21,5 Prozent mehr als im Vorjahr mussten Deutschlands Gastronominnen und Gastronomen im ersten Quartal 2023 für Personal ausgeben, hat der Branchenverband Dehoga ausgerechnet. Die gesetzlich verordnete Mindestlohnerhöhung von 9,82 Euro auf 12 Euro je Stunde hatte an dieser Entwicklung großen Anteil, gleichzeitig aber müssen sich die Hoteliers und Restaurantbetreiber auch immer mehr strecken, um genügend Arbeitskräfte zu finden.„Die Auswahlmöglichkeiten und damit die Ansprüche der Mitarbeiter nehmen zu“, sagt Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn geben sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr zufrieden – und verlangen mehr. „In Großstädten werden teilweise bis zu 14 Euro für Ungelernte gezahlt“, sagt Hartges.
Beliebig erhöhen lassen sich die Preise in der Gastronomie nicht. Anders als beim Kauf von Milch, Butter und Brot gibt es zum Besuch beim Italiener immer eine günstigere Alternative: Wird der Besuch zu teuer, kocht man zu Hause. Im Mai 2023 verzeichneten die Restaurants 11,5 Prozent weniger Gäste als im Mai 2019, zeigen Zahlen des Verbraucherpanels Crest von Circana. „Die Verunsicherung mit Blick auf die gesamte multiple Krisensituation erhöht nicht gerade die Konsumbereitschaft“, sagt auch Dehoga-Chefin Hartges.
Drei Verlustjahre hat die Gastrobranche bereits hinter sich. 2020 und 2021 gaben 36.000 Unternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe den Betrieb auf. Und es könnte noch ärger kommen. Im ersten Quartal 2023 gab es laut Dehoga branchenweit ein Umsatzminus von 12,5 Prozent gegenüber 2019.
Zudem wird der Gastronomie noch bis Ende des Jahres ein Steuervorteil gewährt, eine Art Corona-Schutzschirm. Seit der Pandemie zahlen Restaurants nur noch 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen, egal, wo gegessen wird. Zuvor waren es beim Verzehr vor Ort 19 Prozent. Wenn die Hilfsmaßnahme im Januar 2024 wie geplant auslaufe, sei das „eine Katastrophe – für die Gäste, die Gesellschaft und die Betriebe“, sagt Hartges.
Steht sogar eine neue Pleitewelle bevor? Hartges warnt zumindest bereits vor den Folgen. Gerade in den Lockdowns habe man gesehen, wie öde Innenstädte ohne Gastronomie seien. „Nach der Wiedereröffnung unserer Betriebe zeigte sich, wie sehr wir in den Lockdownmonaten vermisst wurden“, sagt Hartges. Restaurants, Kneipen, Cafés – das seien nicht nur Betriebe, sondern zugleich wichtige soziale Treffpunkte, Orte mit Wohlfühlatmosphäre.
Die Dehoga-Geschäftsführerin sagt deshalb: „Gastronomie muss bezahlbar bleiben.“ Da ist sie mit den meisten Restaurantkundinnen und -kunden wohl einer Meinung.