Gerade einmal 50 Quadratmeter misst das Eine-Frau-Lokal am Engelbosteler Damm 87 in Hannovers Nordstadt. Doch die Fülle seines Programms kann sich mit den ganz großen Veranstaltern messen. Seit 15 Jahren gibt es die „Nordstadtbraut“, erst in der Hahnenstraße, seit fünf Jahren am jetzigen Standort. So viel war noch nie los. 75 Bands haben dort alleine in diesem Jahr auf dem acht Quadratmeter großen Bühnenpodest gespielt, im Schnitt jeden zweiten Tag eine. Manchmal sind es vier an einem Abend. Und alle spielen auf Hut – der Eintritt ist stets frei. „Und morgens frühstücken wir zusammen im Hof.“
Es ist meist ein Nullsummenspiel, das Veranstalterin und Bands gerne in Kauf nehmen. „Wenn hier im Laden 50 Leute sind, steht man einander Nase an Nase gegenüber“, sagt Marek. „Genau so will ich das, und so wollen das auch die Bands.“ Es ist eine selten gewordene, intime Atmosphäre.
Auftrittsmöglichkeiten für Bands sind derzeit rar, die meisten Veranstalter sehr vorsichtig geworden – eine Folge der multiplen Krisen. Der Vermutung aber, dass manche Bands nur deswegen zu ihr kommen, weil sie sonst nirgendwo spielen könnten, erteilt Marek eine empörte Abfuhr. „Ich habe hier Künstlerinnen und Künstler, die sonst auf viel größeren Bühnen auftreten und auftreten könnten.“ Aber: „Die gönnen sich das.“The Great Machine aus Tel Aviv zum Beispiel: Die Stoner-Rocker haben wenige Tage vor dem Auftritt in der „Nordstadtbraut“ vor Tausenden Besuchern beim Freak Valley Festival im nordrhein-westfälischen Netphen-Deuz gespielt; das Konzert wurde vom WDR-„Rockpalast“ aufgezeichnet und ausgestrahlt. „Die haben mich angefragt“, erzählt Marek. Und als sie antwortete, sie könne ihnen kaum etwas zahlen, und sie müssten sich zum Schlafen 40 Quadratmeter mit zwei anderen Bands teilen, hätten diese geschrieben: „Wir sind Hippies, wir kuscheln.“ Hippies mit wilden Bärten und sehr wilder Musik allerdings. Die nach einträglichen Festivalauftritten einfach Lust auf einen Club-Gig haben.
Marek muss nicht auf Akquise gehen. Man bewirbt sich bei ihr, und sie nimmt an, was ihr sympathisch, klug und gut erscheint, von Musik über Literatur bis Performancekunst. Nicht immer kommt genug Publikum. Marek, Jahrgang 1981, in der Nordstadt aufgewachsen und schon in jungen Jahren unterwegs gewesen, kann sich noch an Zeiten vor Youtube und Spotify erinnern, als es zumindest in den Szenevierteln an praktisch jeder Ecke Kneipen mit Livemusik gab. Und ein Publikum, das sich neugierig aufs Unbekannte einließ. Sie bedauert, dass es das so nicht mehr gibt – außer bei ihr.
Das funktioniert nur über eine Leidenschaft, die über den in der Kultur ohnehin stark verbreiteten Hang zur Selbstausbeutung noch weit hinausgeht. Marek versteht sich als Künstlerin: Die Wände der „Nordstadtbraut“ hängen voll mit ihren Werken, Graffiti-Kunst auf Leinwänden und Vinylschallplatten. „Ich glaube, das hier ist so etwas wie meine aktuelle Schaffensphase.“