Dass er die mal wieder in Hannover zur Schau stellt, freut Gassmann: „Die Stadt hat mich geprägt, ich hatte hier viele Förderer.“ Was dann im Gespräch mit ihm folgt, gleicht einem wilden Ritt durch seine Vergangenheit, inhaltlich wie das Tempo betreffend. „Anfangs habe ich sehr gefremdelt“, erinnert er sich an den Umzug aus Straßburg in die Region. „Alles war anders.“ An der Schule in Frankreich befasste er sich mit Abhandlungen von Jean-Paul Sartre und Albert Camus, hier bekam er es am Gymnasium in Großburgwedel mit Peter Handke „und viel anderem Schwermütigen“ zu tun.
Das Haar trug er als Jugendlicher lang, „in Frankreich galt das als gepflegt“, hier wurde er skeptisch beäugt. Und dann war da noch diese Sache mit dem Tanzen: Während man in Frankreich auf Engtanz setzte, genau so, wie man es aus Teenie-Komödien wie „La Boum“ kannte, „tanzte man hier schon getrennt. Man stand voreinander und schüttelte sich. Es war strange.“
Das alles hatte zur Folge, dass er sich zurückzog: „Meine Erfahrungen führten zu Isolation, nicht zu Integration.“ Treuer Wegbegleiter blieb die Musik. Allerdings spielte er da längst nicht mehr Cello wie einst am Konservatorium – „ich habe mich irgendwann der klassischen Musik verweigert, sie ging mir auf den Keks“. Seit er den Song „Radioaktivität“ der Band Kraftwerk hörte, war es um Gassmann geschehen, psychedelische und elektronische Musik erhielten Einzug in sein Leben. Zu seinen Lieblingsradiosendungen gehörten die „Grenzwellen“ von Ecki Stieg (62), früher bei Radio ffn, heute bei Radio Hannover auf Sendung. Mit der eigenen Band spielte er im Leinedomizil, im Bad, dem Pavillon. „Cache Sexe“ wurde sogar mal zur Band des Jahres gekürt.
Jedenfalls verbrachte er freie Zeit an Nachmittagen mit Zeichnen und Grafik, machte erste Erfahrungen mit Tinte – dem Medium, mit dem er längst international große Erfolge feiert. Seine Technik („Ogrody”) hat er patentieren lassen. Seine „Kritzeleien“ als Teenager waren von Comics geprägt. „In Frankreich und Belgien existiert eine starke Comic-Kultur. Zeichnerisch und fiktiv top und so viel mehr als nur ,Fix und Foxi’.“Gassmann probierte sich aus, probierte vor allem viel aus: Während er anfangs Tinte in Neun-Milliliter-Größe zur Verfügung hatte, „wurden es später halbe und ganze Liter, die ich verwendet habe“. Mit den 10 Mark, die er fürs Rasenmähen von seinen Eltern bekommen hat, kam er da aber nicht weit. Gut, dass es „diese kleinen Zufälle im Leben“ gibt. In seiner Abiklasse (Leistungsfächer waren Französisch und Kunst) war eine Schülerin, deren Vater bei Pelikan arbeitete. Der lud den Klassenkameraden seiner Tochter in die Firma ein, der da 500 seiner DIN-A4-Bilder präsentierte, eine neue Quelle für sein geliebtes Material war erschlossen.
Dem begabten jungen Mann war längst aufgefallen, „dass große Künstler der Welt Grenzen überschreiten“. Und er wusste: „Um über Kanten hinauszumalen, darf man nicht zögerlich sein“. Er eignete sich seine eigene Technik an, lernte, welche Auswirkungen Luftfeuchtigkeit, Gravitation und Wasser auf seine Bilder haben. Tusche und Tinte boten ihm eine Nische. Grenzen überschritt er übrigens auch innerhalb der Familie: Vater Günther Gaßmann († 85) war Theologe und war früher Präsident des Lutherischen Kirchenamtes, „ich habe gegen ihn und Priester rebelliert“.
Was der heute 60-Jährige da noch nicht wusste: Eines Tages würden ihm Kirchen die – im wahrsten Sinne – größte Plattform bieten: Gassmann gestaltete Orgeln, Altarbilder, zwei Meter lange Glasfenster und Gewölbe, in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis etwa hängt das Christusbild „Passion III“. Allein in Süddeutschland hat er in 30 Gotteshäusern gearbeitet, er lebt heute in einem ehemaligen Kloster in Würzburg.
Der Anfang dessen liegt in Hannover, genauer gesagt in Langenhagen. Dort hat er die „Apokalypse“ angefertigt, für den Zyklus aus 32 großformatigen Bildern studierte er zweieinhalb Jahre intensiv den Text. Ein Stipendium der Hans-Lilje-Stiftung und die Unterstützung von dem Gründungsdirektor des Sprengel Museums, Joachim Büchner († 61), machten die Arbeit möglich.
Witzig: In dem Atelier wohnt heute Klaus Ritgen (67), früher Konzertveranstalter, heute mit im Team der Ausstellungsmacher des „Kunstladens“. „Klar kannte ich das Gesicht, er hat große Musiker nach Hannover geholt“, so Gassmann. Allerdings brauchte es 40 Jahre und die Kunst, bis sie sich persönlich kennengelernt haben.