Dass das Spiel der Kunst – oder besser: der Kunstschaffenden – mit der KI und digitalen Welt auch sehr viel experimenteller, lustvoller und selbstermächtigender sein kann, zeigen zwei Ausstellungen im Kunstverein Hannover noch bis zum 16. Juli.
Mit „Uncomputables“ präsentiert Agnieszka Kurant Arbeiten, die sich mit unterschiedlichen Ausprägungen nicht-menschlicher Intelligenz befassen. Ein roter Faden: die Rolle der Natur und ihr Einfluss auf das, was wir glauben, unter Kontrolle zu haben.
So kreiert die polnische Konzeptkünstlerin für „Alien Internet“ ein elektromagnetisches Feld, in dem ein Superorganismus aus Ferrofluid – einem durch das Magnetfeld formbaren, nicht aushärtenden Material – sich basierend auf den Daten tausender Tiere weltweit ständig aktualisiert und verformt.
Dass keineswegs alles berechenbar ist, wird auf schönste Weise in „Semiotic Life“ sichtbar. Ein Algorithmus hat hier für einen Wacholder-Bonsai die zukünftige Form berechnet. Auf Basis dieser Daten ist ein 3-D-Druck enstanden, der in einem ins Auge stechenden Blau dem tatsächlichen, natürlich gewachsenen Original zur Seite gestellt wird. Die grünen Zweige zeigen sich dann doch erhabener, sich weit ausstreckend wie ein grinsend gezeigter symbolischer Mittelfinger an die elektronischen Vorhersage-Versuche. Allerdings hatte auch hier der Mensch die Finger im Spiel. Beschneidend, seine Umgebung gestaltend.
Aus Metallsalzen, die essenziell für die Herstellung von Computern sind, entsteht hinter Glas ein „Chemical Garden“ aus faszinierenden Verläufen und Strukturen. Die Ironie dabei: Für die Gewinnung dieser anorganischen Chemikalien werden durch den Menschen Schäden in natürlichen Ökosystemen verursacht, die mehr als „nur“ die Pflanzenwelt vernichten. Am Ende, auf den Punkt gebracht, den Lebensraum, auf den der Mensch angewiesen ist. Vielleicht braucht der Mensch ja auch die künstliche Intelligenz, weil die naturgegebene und selbst vertiefte an manchen Stellen versagt hat? Wer Lust hat, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen in Bezug auf das Spannungsfeld zwischen Natur und Technik, findet jedenfalls sehenswerte Ausgangspunkte.
Zum Beispiel bei der Betrachtung von „Post-Fordite“ und „Sentimentite“. Dabei handelt es sich nur auf den ersten Blick um geologische Formen mit gebänderten Kristallisationen. Denn die an Achat erinnernden Gebilde sind entstanden aus hunderten Schichten Autolack. Abfall vom Fließband, neu definiert. Womöglich das Fossil, das der Neoliberalismus in der Erdgeschichte hinterlassen wird.
In einer Arbeit „Ohne Titel“ wird das Förderband zum Symbol immaterieller Arbeit: leer, sich auflösend im eigenen Spiegelbild.
Der Untersuchung des Immateriellen widmet sich auch Simon Denny. Der aus Neuseeland stammende und aktuell in Berlin lebende Künstler setzt sich bereits seit Längerem mit Themen wie der Blockchain-Technologie, digitalen Produkten und Online-Welten auseinander. In der Einzelausstellung im Kunstverein gibt er den titelgebenden„Metaverse Landscapes“ einen Platz im Greifbaren. Die virtuellen Landschaften, auf denen man digitale Grundstücke passend zum maßgeschneiderten Alter Ego erwerben kann, setzt er um in der Technik der Ölmalerei, verbunden mit UV-Druck.
Es geht im Wesentlichen um den Erwerb virtueller Räume. Auf Verkaufsplattformen werden diese Spekulationsobjekte angeboten. Für „echtes“ Geld, was auch immer das sein soll, wenn man erstmal angefangen hat zu hinterfragen. Denn hätten die Dinge nicht einfach nur den Wert, den wir ihnen zugestehen, wäre selbst das Bargeld nicht mehr als recht nutzloses bedrucktes Baumwollpapier.
Dementsprechend „echt“ sind auch die Tokens der Besitzurkunden für Metaverse-Teile. Sie tragen wohlklingende Namen wie „Somnium Space“ oder „Otherside“ und unterscheiden sich in ihrem Design sehr deutlich, von einfachen Rasteransichten bis hin zu organisch anmutenden Blütenranken.
Was sie eint: Machtstrukturen und das Streben ihrer Eigentümer nach Profitmaximierung. Dennys Abbildungen verdeutlichen bewusst die dahinter stehenden Denkmuster. Wo neues Land Gewinn verheißt, prangen dicke Firmenlogos auf den Inseln der Weltkarten, geben den Straßen ihre Namen. Den gierigen Blick aus Kolonialzeiten nie abgelegt, tummeln sich die neuen Großgrundbesitzer im Paralleluniversum, das sie zu beherrschen suchen. Wie intelligent das ist, wird die Zukunft zeigen. Manches bleibt eben unberechenbar.Agnieszka Kurant: „Uncomputables“ / Simon Denny: „Metaverse Landscapes“, bis 16. Juli im Kunstverein Hannover, Sophienstraße 2. Geöffnet Dienstag bis Sonnabend, 12 bis 19 Uhr, Sonntag 11 bis 19 Uhr. Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.
kunstverein-hannover.de