Es wäre das erste Mal, dass sich mit Christina Koch eine Frau auf eine längere Mission im freien Weltraum begibt. Doch wie genau sich längere Weltraumflüge auf den weiblichen Körper auswirken, ist noch nicht hinlänglich bekannt. Die Weltraummedizin umfasst mehr Daten zu Männern als zu Frauen – was daran liegt, dass die Raumfahrt noch immer männerdominiert ist.
Am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln ist man nun dabei, Forschungslücken zu füllen – und zwar mit Helga und Zohar. Die Strahlenmesspuppen haben an der Artemis-1-Mission, dem ersten Testflug zum Mond im vergangenen Dezember, teilgenommen. Die Puppen sind weiblichen Körpern nachempfunden und enthalten nachgebildete Organe und Knochen aus Kunststoff. „Sie sehen aus, als ob sie nie weg gewesen wären“, sagt Thomas Berger, Leiter des Mare-Projekts.
Von ihrem Flug mitgebracht haben Helga und Zohar jede Menge Daten, die Berger und sein Team jetzt auswerten müssen. Mehr als 12 000 Detektoren haben während ihres Flugs die Strahlenbelastung gemessen – unter anderem in der Lunge, dem Magen, der Gebärmutter und dem Knochenmark. Aus den Daten soll am Ende ein dreidimensionales Abbild der Strahlenbelastung des weiblichen Körpers während eines Mondflugs entstehen. Detaillierte Ergebnisse erwartet der Forscher Anfang 2024.
Schon zwischen 2004 und 2005 war eine Strahlenmesspuppe des DLR an der Außenwand der ISS befestigt, um zu messen, wie hoch die Strahlenbelastung außerhalb der Raumstation ist. Danach hatte sie sich an drei verschiedenen Positionen innerhalb der ISS befunden. Bei dem „Matroschka“-Experiment war eine männliche Puppe im Einsatz. „Deshalb wissen wir schon ganz gut, wie der Strahlungstransport im männlichen Körper funktioniert und welche Dosen zu erwarten sind“, sagt Christine Hellweg, Leiterin der Abteilung für Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „Wir hatten aber keine Daten für den weiblichen Körper.“
Dass Frauen allgemein in Weltraummedizinstudien unterrepräsentiert sind, hat nach Ansicht von Hellweg einen Grund: Studien mit Frauen sind zu aufwendig. Etwa, weil der Menstruationszyklus beachtet werden muss. Um vergleichbare medizinische Daten zu gewinnen, müssten alle Probandinnen in der gleichen Menstruationsphase sein. Diesen Aufwand haben Forschende in der Vergangenheit vermieden, indem sie nur männliche Probanden auswählten. „Da hat in den letzten Jahren ein komplettes Umdenken eingesetzt“, sagt die Strahlenbiologin. Inzwischen sind Forschende dazu angehalten, wenn möglich beide Geschlechter in ihre Studien mit einzubeziehen.
Vor allem die Weltraumstrahlung macht die Missionen so gefährlich. Das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre verhindern, dass zu viel kosmische Strahlung unseren Planeten erreicht; gleichzeitig fangen sie auch energiegeladene Teilchen ein. So entstehen Strahlungsgürtel, durch die Astronautinnen und Astronauten auf dem Weg zum Mond fliegen müssen. „Die Teilchen hinterlassen teilweise irreparable Schäden in unseren Zellen“, sagt Hellweg. Ist die Erbsubstanz der Zellen geschädigt, können sie entarten. Es können bösartige Tumore entstehen. Jeder Flug ins All ist also mit einem gesteigerten Krebsrisiko verbunden. Da Frauen ein ausgeprägteres Brustgewebe haben als Männer, ist bei ihnen gerade das Brustkrebsrisiko erhöht.
„Die Strahlenbelastung ist eine der zentralen ungelösten medizinischen Herausforderungen der astronautischen Raumfahrt“, sagt DLR-Vorstandsvorsitzende Anke Kaysser-Pyzalla. Das grundsätzliche Problem ist, dass sich die Strahlenbelastung auf der Erde nur schwer simulieren lässt. Erst jetzt gingen Experimente mit komplexeren Strahlenfeldern los, sagt Hellweg. So hat Zohar eine Schutzmöglichkeit auf ihrem Flug getestet. Die Puppe trug eine Strahlungsschutzweste, bestehend aus einem Polymer mit hohem Wasserstoffanteil.
„Der Vergleich der Strahlungswerte von Helga ohne Weste und Zohar mit Schutzweste zeigt uns, welche Abschirmungswirkung die Weste entfalten könnte“, erklärt Berger. Doch auch hier fehlt es noch an detaillierten Daten.
Eine andere Gefahr, mit der Astronautinnen und Astronauten im All konfrontiert sind, ist die Schwerelosigkeit, die auch mit Flüssigkeitsverschiebungen verbunden ist. Blut und Wasser strömen in Richtung Kopf. Der Druck im Kopf erhöht sich, und damit auch auf die Augen. Der Nasa zufolge kommt es bei rund 70 Prozent der Astronautinnen und Astronauten zu Schwellungen des Augenhintergrunds, wenn sie auf der ISS sind. Zudem können sich die Augäpfel in der Schwerelosigkeit verformen und der Sehnervenkopf anschwellen. Forschende sprechen vom Sans, dem „Spaceflight-Associated Neuro-ocular Syndrome“. Es ist vor allem von Langzeitmissionen bekannt.
Wie und warum die Schwerelosigkeit die Augen schädigen kann, untersucht das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Bettruhestudien. Aktuell läuft die Sans-Bettruhestudie: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen dabei 30 Tage lang in einem Bett liegen. „Viele Probanden stellen sich das zunächst ganz gechillt vor“, sagt Claudia Stern, Leiterin der Abteilung für Klinische Luft- und Raumfahrtmedizin. „Aber sie merken schnell, dass es doch nicht ganz so einfach ist.“ Denn das Bett ist kopfwärts um sechs Grad geneigt, was „die Effekte der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper ideal simuliert“. Der Druck im Kopf steigt, und durch das lange Liegen bauen sich Muskeln ab.
„Wir forschen jetzt schon lange zum Sans und wissen doch noch nicht genau, wie es entsteht“, sagt Stern. Wie sich Astronauten und Astronautinnen vor Sans schützen können, wollen Stern und ihr Team weiter erforschen. Helfen könnte die „Lower Body Negative Pressure“-Technik, kurz LBNP. Dabei wird ein Unterdruck auf den Unterkörper erzeugt. Kosmonauten nutzen diese Technik schon jetzt, bevor sie von der ISS zur Erde zurückkehren. Die Idee ist nun, LBNP als grundsätzliche Gegenmaßnahme gegen Sans auf der Raumstation einzusetzen.
Seit 2017 umfassen die Bettruhestudien des DLR auch weibliche Testpersonen. Die Weltraummedizin wird zunehmend weiblicher – und passt sich somit der Raumfahrt an. Schließlich bekommen immer mehr Frauen die Chance, ins All zu fliegen. Das verdeutlicht allein die aktuelle Astronautenklasse der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa: Unter den 17 ausgewählten Astronauten sind acht Frauen. Dennoch ist es aus Sicht von Stern noch ein „langer Weg“, bis Frauen und Männer sowohl in der Raumfahrt als auch in der Weltraummedizin in gleichem Maße repräsentiert sind.