„Sie waren sehr stolz“, erzählt die 38-Jährige von ihren Eindrücken von vor Ort. „Sie konnten es irgendwie auch gar nicht glauben, dass ein jesidisches Mädchen wie sie mal Fußball gespielt hat und wollten wissen, was in dem Buch so drin steht.“ Die ehemalige Profifußballerin (sie kickte unter anderem beim 1. FC Köln) und Menschenrechtsaktivistin hat im kurdischen Teil des Landes gerade den dritten Standort der „Scoring Girls“ eröffnet. Unter dem Dach des Tekkal-Vereins „Háwar help“ – mehrere Geschwister haben ihn gegründet – startete Tugba Tekkal im Jahr 2016 ihre Mission. Das Ziel: Mädchen einen Ort zu schaffen, an dem sie ebenfalls Fußball spielen und sich austauschen können, außerdem einen Zugang zu Bildung erhalten.
„Ich habe ihnen auch erzählt, dass ich ihnen ein ganzes Kapitel gewidmet habe, außerdem viel von meinen Wurzeln, meinen Eltern und dem Irak schreibe“, so Tekkal. „Einen besseren Ort hätte ich mir für den Tag der Buchveröffentlichung nicht vorstellen können.“ Überhaupt hat sie sich niemals vorstellen können, einmal ein Buch in den Händen zu halten, in dem ihre bisherige Lebensgeschichte niedergeschrieben ist. „Ich sehe dieses kleine, schüchterne Mädchen von einst. Dieses Kind, das durch die Limmerstraße in Linden läuft und keine Ahnung von morgen hatte. Und nun schreibt es Bücher – und die Leute interessieren sich auch noch dafür. Wahnsinn!“
Gemeinsam mit Anna Dreher (34), Redakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, hat Tekkal ihren Lebensweg aufgearbeitet und schließlich zu Papier gebracht. Ein aufwühlender wie schöner Prozess, bei dem sie quasi gezwungen war, sich an bestimmte Situationen ganz genau zu erinnern. Umso intensiver die Fragen der Journalistin wurden, umso detaillierter kamen Erinnerungen bei der 38-Jährigen wieder hoch.
Beispielsweise nutzte sie die Gelegenheit, als ihre Schwester Düzen Tekkal (44) im Herbst vergangenen Jahres ihren Geburtstag in Linden gefeiert hat, die Limmerstraße und auch angrenzende Straßen mal alleine für sich abzugehen. „So konnte ich vieles von früher Revue passieren lassen. Ich hatte die Tankstelle am Küchengarten vor Augen, die es längst nicht mehr gibt, bin an ,Rudis Reste Rampe’ vorbei, der Kiosk von früher ist sogar noch da. Die Welt an der Limmerstraße, die Zeit, die ich dort verbracht habe, kam mir vor wie ein ganzes Leben.“
Ihre Familie – sie hat zehn Geschwister – spielt in dem Buch selbst nicht nur eine große Rolle, sie war auch an der Entstehung beteiligt: „Ich musste sie natürlich beim Schreiben auch immer wieder fragen: Wie war das damals? Warum ist das und das passiert?“ Zudem betont die Tekkal, dass ihre Familie sie besser kennt, als sie sich selbst. „Sie hat mich mein Leben lang begleitet, alles hautnah miterlebt, auch die schwierigen Phasen.“
Wie viele andere Menschen auch hat Tugba Tekkal davon so einige erlebt: Sie berichtet von Ausgrenzung und Diskriminierung, die sie als Kind jesidisch-kurdischer Einwanderer auf verschiedene Weise erfahren hat. „Im Nachhinein waren diese schwierigen Phasen wichtig für mich, haben mein Ungerechtigkeitsempfinden gestärkt und dazu geführt, dass ich einen unbedingten Willen entwickelt habe“, resümiert sie heute. Vor allem wenn es um ihre Eltern geht, Mutter Fatma (72, in der Familie auch liebe der Pate genannt) und Vater Seyhmus (72). „Sie hatten es in Deutschland einmal mehr schwerer als wir. Das Gefühl, mich schützend vor meine Mutter zu stellen, die nur gebrochen Deutsch sprechen konnte, war schmerzhaft. Aber eben auch sehr wichtig.“
Ehe sie am 15. April auf die Reise nach Kurdistan aufgebrochen ist, haben sich die Tekkals in Hannover getroffen und sich gegenseitig aus ihrem druckfrischen Buch vorgelesen. „Ich war so gerührt davon – es ist ja nicht nur meine Geschichte, sondern auch die meiner Familie. Sie alle kommen vor, alle haben ihren Platz. Es ist ein wahnsinnig schönes Gefühl, das alles festzuhalten, ein Dokument zu haben, das bleibt.“ Insbesondere dann, wenn sie von den schönsten Kindheitserinnerungen berichtet.
„Es gab unheimlich viele Momente der Freiheit und des Zusammenhalts. Vielleicht ist die schönste Erinnerung, als ich zum ersten Mal Fußball gespielt habe. Das Mädchen, das immer am Rand saß, hatte plötzlich den Ball am Fuß.“ Sie wird nie vergessen, wie sie sich getraut hat, zu kicken. Sie wird nie vergessen, wie sie dafür gekämpft hat, ihre Leidenschaft ausüben zu können – auch gegen Widerstände in einem teils traditionellen Zuhause. Tekkal wurde geleitet von dem Gedanken und Gefühl: „Das fühlt sich an, als würde ich etwas können.“
Das ihre Gedanken aus Kindertagen wahr werden sollten, sie mehrfach über sich hinausgewachsen ist, hat Tekkal gesellschaftlich wie sportlich längst bewiesen – Glückwunsch!