Für sein Buch „Lost & Dark Places – Hannover und Umgebung“ (Bruckmann Verlag, 160 Seiten, 22,99 Euro) hat der Autor Uwe Grießmann jetzt „33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte“ im Hannoverschen näher unter die Lupe genommen. Ein morbider Reiseführer ganz eigener Art.
Der Wahrheit die Ehre: Der Gruselfaktor zwischen den Stationen schwankt doch sehr. Einige sind eher touristische Hotspots als klassische Lost Places. Man braucht schon viel guten Willen, um den Döhrener Turm, gelegen mitten auf der Hildesheimer Straße, als einen solchen einzustufen – auch, wenn sich um ihn hübsche Sagen ranken. Und die Kriegsruine der Aegidienkirche fällt bei Lichte besehen ebenfalls wenig geheimnisvoll aus.
Das Ihme-Zentrum ist für Grießmann schlicht „der größte Lost Place, den es in Europa gibt“ – ein Urteil, das viele seiner Bewohner dann doch überraschen dürfte.
Dafür kann das Buch aber auch mit einigen düsteren Orten und Geschichten aufwarten, die selbst in der Szene wenig bekannt sind – oder aber als ideale Ausflugsziele taugen. Wir stellen einige seiner Lost Places aus Hannover und Umgebung vor.
Die Ruine sieht so romantisch aus, als hätte Caspar David Friedrich sie persönlich in das Waldstück gestellt: Um 1842 wurde das Mausoleum für den hannoverschen Feldherrn Graf Carl von Alten errichtet, der Napoleon bei Waterloo (mit etwas ausländischer Hilfe) besiegt hatte. Das Gebäude verfiel erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Heute wird das Mausoleum im Waldstück Sundern in Hemmingen von einem rührigen Verein liebevoll gepflegt. Der tote Graf wurde übrigens schon in den Fünfzigerjahren in die Neustädter Hof- und Stadtkirche umgebettet. Doch dem morbiden Charme des Mausoleums tut das keinen Abbruch.■ Im Sundern 1 in Hemmingen, auf Waldwegen ausgeschildert.
Dass Hitler die Autobahnen erfunden hat, ist ein brauner Mythos. Die Planungen gab es schon in der Zeit der Weimarer Republik, doch realisiert wurden viele der auch militärisch wichtigen Projekte erst in der NS-Zeit. Ein Stück der Reichsautobahn 24, geplant als Umgehung für Hannover, wurde allerdings nie fertiggestellt.
Am Moor-Erlebnispfad Resse in der Wedemark gibt es bis heute eine Schneise in der Landschaft, wo Asphaltstreifen an das aufgegebene Autobahnprojekt aus den Dreißigerjahren erinnern.
Die Trasse endet praktisch in einem Teich, der damals durch Aushubarbeiten entstand – und heute ein pittoresker Lebensraum für Libellen ist.
■ Moor-Erlebnispfad Resse, Osterbergstraße in der Wedemark.
Schmucke, herrschaftliche Häuser wie die Villa Goedeckemeyer zeugen bis heute von Limmers großer Vergangenheit: Im Jahr 1779 entdeckte Hofbotaniker Friedrich Ehrhart hier eine Schwefelquelle. Bald machten Berichte von angeblichem „Wunderwasser“ die Runde, teils kamen Hunderte Besucher täglich. Es entstanden Gast- und Logierhäuser, ein Pavillon, Stallungen.Eine Zeit lang war Limmer als Kurort eine echte Konkurrenz für Bad Nenndorf – bis dieses sich im 19. Jahrhundert dann doch durchsetzte. Das Logierhaus wurde 1977 abgerissen, das Badehaus 1980. Vom heimlichen „Bad Limmer“ blieben nur wenige bauliche Relikte.
■ Limmerbrunnen in Hannover, Haltestelle Brunnenstraße.
In seinem Mauerwerk finden sich rätselhafte Symbole und Säulen – und überhaupt sieht der „Hexenturm“ so aus, als trüge er seinen Namen ganz zu Recht. Dabei wurde er schon als Ruine gebaut, um im Dienste der Aufklärung an die Vergänglichkeit zu gemahnen. Der Postkommissar Jobst Anton von Hinüber ließ den Hinüberschen Garten nahe dem historischen Kloster Marienwerder um 1767 anlegen.
Der Freimaurer versteckte in dem Park allerlei Symbole aus der Welt der Logenbrüder. Der Hexenturm ist bis heute das wohl spektakulärste davon – ein Lost Place, der von Anfang an als Lost Place konzipiert war, um die Menschen daran zu erinnern, dass nur innere Werte beständig sind.
■ Spaziergänge durch den Hinüberschen Garten zum Hexenturm startet man am besten am Kloster Marienwerder, Quantelholz 62.
Es war der 9. November 1989. In Berlin fiel die Mauer, und an den Herrenhäuser Gärten fuhr ein klappriger Fiat vorbei. Sänger Kurt Cobain war mit seiner Band Nirvana unterwegs zum Auftritt im „Bad“. Nur etwa 100 Leute wollten die Truppe sehen, die bald darauf ihren Durchbruch hatte und in die Musikgeschichte einging. Auch Nina Hagen, Helge Schneider und Rammstein gastierten in dem „Musiktheater“.
Der Hannoversche Schwimmverein hatte hier 1938 ein eigenes Freibad eröffnet. Nach seiner Schließung um 1980 wurde dies zum Veranstaltungszentrum, bis Lärm- und Brandschutzauflagen dem „Bad“ praktisch den Garaus machten. Heute verfällt das Außengelände, die Natur erobert die Anlagen zurück.
■ Am Großen Garten 60.
Einst sollen unsere germanischen Altvorderen solche Rasenlabyrinthe in rituellen Tänzen durchmessen haben, um ihre innere Mitte zu finden. In der Eilenriede findet sich bis heute ein solches Stück historische Gartenkunst. Dieses wurde erst 1932 hier angelegt, doch die Stadtchronik erwähnte schon 1642 ein „Eilenrieder Rad“, das damals vor den Toren der Stadt lag, etwa am neuen Haus, wo heute die Musikhochschule ist. Das heutige Labyrinth ist genau genommen kein Irrgarten, sondern ein „Baltisches Rad“ mit mehr als 30 Metern Durchmesser: Spaziergänger können auf einem kreuzungsfreien Weg, der pendelnd die Richtung wechselt, immer wieder am Zentrum vorbeigehen, ehe sie dort schließlich ankommen. Der meditative Akt steht auch für die Suche nach der eigenen Seele – die sich hoffentlich nicht als Lost Place erweist.
■ Das Labyrinth findet sich grob gesagt in der Verlängerung der Lortzingstraße in der Eilenriede, etwa 250 Meter östlich der Bernadotteallee.