„Insbesondere wenn Filialunternehmen mehrere Standorte in einer Stadt haben, dann neigen sie jetzt dazu, Flächen zu reduzieren“, sagt Axel Augustin, Geschäftsführer beim BTE-Handelsverband Textil, Schuhe, Lederwaren. Der Modehandel stehe „mit dem Rücken zur Wand“. Deshalb seien zwei Dinge zum Gegensteuern nötig. Erstens müssten die Immobilieneigentümer von den „teils massiv überhöhten Mietforderungen“ herunterkommen, sagt Augustin: „Wir sehen überall dort, wo die Mieten gesenkt werden, dass neue Konzepte eine Chance haben.“ Bisher seien die Textilunternehmen diejenigen gewesen, die mit die höchsten Mieten in den Innenstädten erwirtschaftet hätten.
Zweitens müssten die Kommunen Mut zum Experiment haben. „Wir müssen neue Ideen ausprobieren“, sagt Augustin. Aus der Entfernung könne er das Innenstadtkonzept der Stadtspitze, das auf eine vielfältigere Nutzung der Stadt setzt, zwar nicht bewerten. Grundsätzlich sei aber solch eine Offenheit für Neues wichtig, „denn ich sehe keine Konzepte, die uns die alten Zeiten zurückbringen“. Die Vielzahl an Ladengeschäften, die bisher die Innenstädte prägten, seien nicht mehr notwendig. Deshalb müssten andere Wege gefunden werden, damit die Zentren attraktiv für Menschen bleiben.
Auch Martin Prenzler von Hannovers City-Gemeinschaft glaubt fest daran, dass die Innenstädte sich wieder erholen werden. Alle Händler spürten die Probleme wegen der dichten Abfolge von Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Kaufzurückhaltung und Inflation. „Natürlich wird man das auch in der Innenstadt sehen – aber sie wird trotzdem weiterhin ein vielfältiger Ort zum Einkaufen, Schlendern, Einkehren und Treffen bleiben“, so Prenzler.
Im Februar hatte die Vitale-Städte-Befragung des Instituts für Handelsforschung (IFH) ergeben, dass die Innenstadtbesucher in Hannover tendenziell älter, weiblicher und online-affiner werden. Insgesamt erhielt Hannover die Note 2,4 – besser als vor zwei Jahren, aber etwas schlechter als der Durchschnitt vergleichbarer Großstädte.
Der häufigste Anlass, warum die Menschen in die Innenstadt kommen, ist demnach weiterhin das Einkaufen – 60,2 Prozent gaben das an. Gleich hinter dem Handel aber folgt inzwischen die Gastronomie (51,3 Prozent). Das ist nicht nur deutlich mehr als der Durchschnitt der Vergleichsgroßstädte (38,8 Prozent), sondern deutet vor allem auf eine Verschiebung der Präferenzen hin. Bei der vorhergehenden Befragung 2020 hatten 71,9 Prozent das Einkaufen als Hauptgrund für den Innenstadtbesuch angegeben, bei Gastronomie waren es nur 39,5 Prozent.
Weit überdurchschnittlich ist laut Studie der Wunsch der Hannover-Besucher nach mehr und schöneren Aufenthaltsmöglichkeiten in der Innenstadt sowie nach Sport-, Spiel und Fitnessangeboten. 64,3 Prozent wünschten sich Verbesserungen bei „Orten zum Verweilen und Freunde treffen“, bei den Vergleichsstädten waren es nur 51,4 Prozent. 35 Prozent wünschten sich mehr und bessere Sport- und Spielangebote, bei den Vergleichsstädten waren es 27,5 Prozent.
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sah darin eine Bestätigung für seinen Kurs, die Innenstadt nicht mehr auf die Dominanz des Handels auszurichten, sondern anderen Nutzungen wie Kultur, Sport und Freizeit mehr Raum zu geben. In den vergangenen Jahren hatte es Experimentierräume gegeben. Ab Juni ist geplant, im leer stehenden Kaufhof an der Marktkirche experimentelle Nutzungen zuzulassen. Die Stadt bereitet dafür ein Konzept vor, an dem sich auch die Hochschulen beteiligen. Gebäudeeigentümer Signa stellt die Immobilie zur Verfügung, bevor 2024 der Abriss beginnt.