„Man sieht wie kleine Punkte die Menschen auf der Straße, die stehen bleiben und dem Ballon nachschauen“, schrieb er später fasziniert, „sonst befindet man sich in absoluter Ruhe.“ Die erfahreneren Männer an Bord hatten beim Start in Hamburg Proviant eingepackt („1 Fl. Sekt, 1 Fl. Weißwein, Butterbrote, Cakes, kaltes Huhn“) und schickten aus der Luft per Brieftaube Grüße an die Daheimgebliebenen.
Hammerstein aber konnte sich nicht sattsehen an den winzigen Autos auf den Chausseen und den Eisenbahnzügen, die kleine Dampfwölkchen ausstießen. Nach der Landung beschrieb er „ein Gefühl, so stolz und schön, wie es der nur empfinden kann, der einmal eine Ballonfahrt mitgemacht hat“. Im Jahr darauf machte er selbst den Freiballonführerschein – und bis in die Dreißigerjahre absolvierte er 62 Fahrten.
„Er war seinerzeit einer der bekanntesten Ballonfahrer Deutschlands“, sagt Wolfgang Leonhardt. Hannover war damals eine Hochburg der Szene: „Die Stadt lag in der Ebene, und der Waterlooplatz eignete sich wegen der meist günstigen Windverhältnisse gut für Starts“, sagt der Luftfahrthistoriker. Außerdem produzierten Firmen wie die Conti hier Materialien für den Ballonbau.
Dass Hannover zum aeronautischen Hotspot wurde, lag aber auch an Hammerstein: Nach dem Ersten Weltkrieg hatte es den Berufsoffizier hierher verschlagen. Er wohnte zeitweise an der Geibelstraße, wurde Mitglied im Hannoverschen Aero-Club und sorgte mit seinen Ballonstarts regelmäßig für Massenspektakel.„Wenn auf dem Waterlooplatz Ballons aufstiegen, war das immer ein richtiges Volksfest, bei dem ganz Hannover auf den Beinen war“, sagt Leonhardt. Seine Premiere als Ballonstartrampe erlebte der Platz im Juni 1913: Um die Einweihung des Neuen Rathauses zu feiern, kam nicht nur der Kaiser höchstselbst in die Stadt. Es gab auch eine Sport- und Festwoche, bei der neun Ballons zu einer Wettfahrt starteten.„Interessant war die ungeheure Menschenmenge, die beispielsweise bis zum Leineschloß hin so dicht stand, daß kein Apfel zur Erde fallen konnte“, notierte Hammerstein. Sein Ballon fuhr an jenem Tag über die Lindener Fabriken und den Deister Richtung Steinhuder Meer. Über dem Kloster Loccum öffnete seine Mannschaft eine Flasche Sekt, um ein Hoch auf den Kaiser auszubringen – und nach einer 215 Kilometer langen Tour landete der Ballon dann bei Varel.
„Hammerstein hat fast jede Fahrt akribisch beschrieben“, sagt Leonhardt. Der 81-Jährige hat vor einiger Zeit von einem Enkel des 1954 verstorbenen Ballonpioniers dessen Nachlass bekommen – ein Konvolut aus Hunderten von Zeitungsausschnitten, Fotos, Reiseberichten, Landkarten und weiteren Dokumenten, abgelegt in 42 dicken Ordnern. Die Hinterlassenschaft eines Fliegerlebens.
Für einen wissenschaftlichen Aufsatz, den er in den „Hannoverschen Geschichtsblättern“ veröffentlichen möchte, hat Leonhardt die Hammerstein-Papiere ausgewertet. Jetzt hat er sie ans Stadtarchiv übergeben: „In ihnen steckt ein Stück Luftfahrtgeschichte“, sagt die Historikerin und Archivarin Uta Ziegan. „Die Dokumente bilden eine wichtige Facette der Luftfahrthistorie in Hannover ab.“
In den Aufzeichnungen schildert Hammerstein waghalsige Aktionen: Einmal landete sein Ballon vor der dänischen Insel Samsö fast im Meer, ein anderes Mal brachen sich Mitreisende bei einer unsanften Landung die Unterschenkel. „Seine wichtigste Fahrt war das Gordon-Bennett-Rennen“, sagt Leonhardt.
Hammerstein war schon 60 Jahre alt, als er 1937 an dem Wettbewerb teilnahm, den der Verleger der US-Zeitung „New York Herald“ initiiert hatte. In Brüssel startete sein Ballon Richtung Regensburg. „Es war bitter kalt geworden. Das Thermometer zeigt jetzt 11 Grad Kälte“, notierte er.Der Ballast in den Sandsäcken war durchnässt und gefroren, nur mit Mühe konnte er zerkleinert werden. Nach Hammersteins Angaben stieg der Ballon zeitweise bis zu 7000 Meter hoch auf, erst nach fast 25 Stunden und 826 Kilometern landete er in der Tschechoslowakei.
„Der alte Freiballon ist ewig jung“, schwärmte Hammerstein in seinen Aufzeichnungen, „er soll auch immer wieder dabei helfen, daß Hannover seinen Ruf als ,Stadt der Flieger’ bewahrt.“
Doch die letzten Ballonstarts vor dem Zweiten Weltkrieg waren hier schon militärisch geprägt: Truppen des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) und der Motor-HJ übten auf der Erde „kriegsmäßige Ballonverfolgung“.
Und Hammerstein selbst wurde im Krieg stellvertretender Kommandant auf dem Fliegerhorst Hannover. Eine unschuldige Spielwiese der Abenteuerlust war die Luftfahrt nie.