„Sie ist für jeden da“
Magdalena Winghofers Projekt heißt „Wolke 7“ –
doch die katholische Ordensschwester ist in Kronsrode Ansprechpartnerin und Seelsorgerin für irdische Probleme

Nähe zeigen in einem jungen Quartier: Schwester Magdalena Winghofer (links) mit Nachbarin Nicole Felten.Fotos: Elena Richert

Nicole Felten winkt schon von Weitem, als sie merkt, dass vor „Wolke 7“ gerade Fotos von der Frau in der Tracht einer katholischen Ordensschwester gemacht werden. „Schwester Magdalena ist die Beste”, will die 55-Jährige unbedingt mitteilen und hat dabei fast Tränen in den Augen. „Ohne sie wäre ich nach dem Tod meines Freundes untergegangen.“ Es wird an diesem Nachmittag bei einem Spaziergang durch Kronsrode nicht die einzige Lobpreisung bleiben. Wenn ein so junger Stadtteil eine Seele haben kann, dann ist Magdalena Winghofer (43) offenbar ein wichtiger Teil davon.

Bodenlanger grauer Rock aus Baumwolle, praktische Stiefel, eine dunkelblaue Jacke – und auf dem Kopf die weiße Haube mit dem schwarzen Schleier. „Ich bin erkennbar“, sagt Schwester Magdalena mit einem feinen Lächeln. Doch den Exotenstatus hat die katholische Ordensschwester der Congregatio Jesu längst verloren. Man kennt sie: Seit Oktober 2022 ist sie „die Nonne von Kronsrode“, auch wenn man Mitglieder ihres Ordens gar nicht so bezeichnet.

Es pfeift ein scharfer Dezemberwind entlang der Kattenbrookstrift. Die Schneise durch die geklinkerten Wohnblöcke ist die Hauptschlagader des neuen Quartiers Kronsberg-Süd, das offiziell zu Bemerode gehört und von den Menschen hier Kronsrode genannt wird. Wer zum ersten Mal dort ist, sieht die unbefestigten Fahrbahnränder und die Schotterflächen, auf denen Autos parken, Bauzäune und an vielen Ecken Container mit Baumaterial. Schwester Magdalena sieht etwas anderes: „Einen Stadtteil, der wächst.“

Und den sie beim Wachsen begleitet. „Kirche im Neubaugebiet“ heißt das Projekt des Bistums Hildesheim, das Winghofer umsetzt. Denn in Kronsrode sollen irgendwann einmal 8500 Menschen leben, eine Kirche ist aber nicht geplant. „Ich bin zusammen mit den ersten Mieterinnen und Mietern angekommen“, erinnert sie sich an die Anfangszeit. „Hier gab es nichts. Nur sehr viele Baukräne.“

Und Fragen. Wer ist die Frau in Ordenstracht? Schwester Magdalena musste Klischees und Vorurteile aus dem Weg räumen. „Manche Menschen waren überrascht, wie normal mein Leben ist“, sagt sie mit einem Schmunzeln.

Die ersten sechs Monate seien schwierig gewesen. „Die Leute sind nach dem Umzug erstmal mit sich selber beschäftigt. Aber danach geht es darum, Kontakte zu knüpfen.“ Schwester Magdalena streifte an zwei bis drei Tagen stundenlang durch den Stadtteil, bot Gespräche und Hilfe an. „Die Idee der Wandermission ist romantisch – bis es regnet.“ Das Problem hat sie inzwischen nicht mehr: „Wolke 7“ heißt ihr Ladenlokal, nur einen Steinwurf entfernt vom neuen Kronsrode-Zentrum am Iris-Runge-Platz.

Wer vorbeiläuft, sieht die Ordensfrau durch die bodentiefen Fenster, ist herzlich eingeladen, zu klingeln und auf einen Kaffee oder einen Keks vorbeizuschauen. Die 43-Jährige organisiert Kinderkirche und Filmabende, Stadtteilrundgänge und einen Bibelgarten zu Ostern, sie engagiert sich bei Familienfesten und beim Nachbarschaftskaffee der AWO-Tagespflege.

Gabriele Brose (59) ist Leiterin dieser Einrichtung, die es seit Februar 2023 gibt. „Sie ist außergewöhnlich“, sagt die AWO-Mitarbeiterin, wenn man nach Schwester Magdalena fragt. „Freundlich und zugewandt. Und sie steht mit beiden Beinen auf der Erde.“

Magdalena Winghofer hat Theologie studiert und mit 25 Jahren ihren Weg gefunden. „Gott ist die Mitte meines Lebens, es war nur logisch“, sagt sie über ihren Eintritt in die Congregatio Jesu. Die Glaubensgemeinschaft hat sich den Dienst am Menschen zum Auftrag gemacht. „Das ist die Ausrichtung meines Lebens.“

Klingt ernst. Doch wer mit Schwester Magdalena unterwegs ist, wird viel Lachen hören, eine Welle der Herzlichkeit spüren, ein Gefühl für ihre Bedeutung im Stadtteil bekommen. Einer ihrer Fans ist Mustafa Gözek (41), der im Spätsommer das Döner-Restaurant „Kröner“ am Iris-Runge-Platz eröffnet hat. „Sie wäre meine erste Anlaufstelle, wenn ich etwas auf dem Herzen habe. Sie ist für jeden da. Jeder Stadtteil sollte eine Schwester Magdalena haben.“

Der Muslim und die katholische Ordensschwester? „Wir sind multikulturell in Deutschland“, findet Gözek. Und fügt als Anspielung auf das Habit der Nonne hinzu: „In meiner Familie wird das Kopftuch ernst genommen.“ Auch Schwester Magdalenas Kopfbedeckung sei für ihn „ein Zeichen von Freiheit“.

Gözek und Winghofer kennen sich vom Netzwerken. Denn auch wenn ihr Angebot kostenlos ist und keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt, ist die Ordensschwester mit „Wolke 7“ auch Teil einer Gruppe von Gewerbetreibenden. Noch gibt es viel Leerstand entlang der Kattenbrookstrift, hinter vielen Fensterscheiben sind leere, öde Räume. Die, die schon Waren und Dienstleistungen anbieten, haben es nicht leicht. Sophia Britti hält seit eineinhalb Jahren mit ihrer Eisdiele „Fiore“ die Stellung. Was sie an Schwester Magdalena schätzt: „Sie ist immer interessiert an allen Themen.“

Davon gibt es viele. Als Ende August eine schwarze Rauchsäule über Kronsrode stand, nachdem Kinder auf einem leeren Baufeld gezündelt hatten, hat die 43-Jährige getröstet, unterstützt, vermittelt. Manche Anwohner waren traumatisiert, andere sorgten sich, dass das Neubaugebiet zum Brennpunkt wird. „Hier ist nicht das Paradies“, sagt Schwester Magdalena nüchtern, die Sorgen nimmt sie ernst. Was ihr hilft: „Ich habe einen guten Draht zu den Kontaktbeamten der Polizei.“

Wissen, wer helfen kann. Darin sieht sie eine ihrer Aufgaben. „Denn ich habe Grenzen“. Gehe es um Anträge und Dokumente, finanzielle Fragen oder akute Hilfeleistungen für Menschen in der Krise, nutze sie die Schnittstellen zu den Quartiersmanagement-Teams und Sozialarbeitenden. „Ich kann die Leute lotsen.“ Zum Beispiel zu Hanova-Quartiersmanager Philip Bärwald oder Sozialarbeiter David Will.

Mit der Kirche habe er wenig am Hut, sagt der 36-jährige Bärwald freimütig. „Aber es geht ja nicht um Glauben, sondern um Gemeinschaft.“ Das sieht auch die Ordensfrau so: „Ein Stadtteil wie Kronsrode braucht Begleitung. Das Viertel ist ungeheuer divers, es sind viele Nationalitäten und Kulturen hier. Hier wird in der Dimension einer Kleinstadt gebaut.“

Eine Kleinstadt, in der manche nicht ganz freiwillig sind. 30 Prozent der Wohnungen sind sozial gefördert – Menschen werden zugewiesen, aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Andere müssen aus Altersgründen in barrierefreie Wohnungen wechseln oder ziehen in die Nähe ihrer Kinder. „Der Start war holprig“, erzählt Ursula Teubert. Die 73-Jährige fand in Schwester Magdalena eine gute Starthelferin. „Sie ist wichtig für Kontakte.“

Einsamkeit, Verlust, Trauer, Belastungen des Alltags. „Meine Rolle verändert sich, ich bin jetzt viel häufiger Seelsorgerin“, hat die Ordensfrau festgestellt. Die Menschen finden den Weg zu ihr, nutzen die Angebote, suchen das Gespräch.

„Wir halten zusammen. Und Schwester Magdalena gibt uns Halt“, sagt Eisdielenbesitzerin Britti. Sie hat die Ordensschwester ins Herz geschlossen, wie viele andere auch. Sie gehöre zum Quartier. „Es fällt sofort auf, wenn Schwester Magdalena mal im Urlaub ist.“



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