„Der Laden kennt mich und mag mich“, sagt Kühn und blickt sich um. Es ist sein Kiez, sein altes Zuhause. Elf Jahre hat er hier – nach seiner Tagesschicht als Wirt im Tennisverein des VfL Eintracht – Abend für Abend gestanden und Bier gezapft, oft bis nach Mitternacht. Doch dann die Katastrophe 2021: Innerhalb von einem halben Jahr überlebt er mit viel Glück gleich zwei Herzinfarkte. „Das macht was in deinem Kopf“, sagt er. „Bei jedem Zucken des Körpers bekommst du Panik.“
Heute geht es ihm nach eigenen Worten wieder „überragend“. Kühn kennt den Grund seiner Herzinfarkte und lässt ihn behandeln: In seinem Blut ist das Lipoprotein Lp(a) massiv erhöht und damit verantwortlich für seine Infarkte. „Heute gehe ich jede Woche für drei Stunden zur Blutwäsche, das ist mein Lebenselixier“, sagt Kühn. Und er fühlt sich bereit dafür, neu durchzustarten.
Als im Frühjahr der letzte Pächter den „Stammplatz“ aufgab, ist Kühn als Mieter wieder eingestiegen. Die markanten schwarz-weißen Fliesen hat er herausgerissen und Parkett verlegt. Statt Wimpeln und TV-Schirmen sind nun Regale und Kleiderstangen an den Wänden. Denn der 53-Jährige hat jetzt ein Modelabel: „Liebe Freunde Glück“ heißt es – und das ist auch so etwas wie sein Lebensmotto. Hoodies und Shirts bedruckt er mit großer Schrift, nimmt auch Aufträge an und versieht Arbeitskleidung, Streetwear oder Funshirts mit Aufdrucken nach Wunsch. Eine große Presse steht dafür im Geschäft. Außerdem hat Kühn für Eintracht die Ausstattung mit Trikots, Jacken und Hosen übernommen.
So ist der „Stammplatz” nun zur Arbeitsstätte geworden, wo Kühn Kleidung designt, sein Büro und seinen Showroom hat. Von der Kneipe ist nicht mehr viel zu sehen, nur den Tresen hat er stehengelassen. „Für mich privat“, sagt er und witzelt: „Oder wenn ein Kunde für 3000 Euro einkauft, bekommt er ein Bier gratis gezapft.“
Durch seine Krankheit hat Kühn einiges über seinen Körper erfahren, und dieses Wissen möchte er weitergeben. Die Erkrankung ist genetisch und lässt sich mit einem Bluttest für 15 Euro feststellen – dies ist aber nicht Standard beim Blutbild. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte mir das viel erspart“, sagt Kühn rückblickend.
Weil ihn das Leben nun wieder hat, hat er auch privat einen großen Schritt gewagt: Kühn hat seiner Lebensgefährtin Dani, mit der er seit 18 Jahren zusammen ist, einen Heiratsantrag gemacht. Auf der Berliner Waldbühne, bei einem Konzert von Herbert Grönemeyer. „,Immerfort‘ ist unser Song. Ich wollte sie unbedingt bei diesem Lied fragen. Sogar unser Ring trägt eine Zeile daraus“, sagt Kühn.
Das Problem war nur: Grönemeyer schien den Song an dem betreffenden Tag nicht zu spielen. „Ich war völlig fertig, alles war darauf abgestimmt.“ Doch dann setzte sich Grönemeyer ein letztes Mal ans Piano und sang – „Immerfort“. Kühn fiel auf die Knie, holte den Ring aus der Tasche. „Blitzlichtgewitter, die Leute um uns herum applaudierten“, erinnert er sich. „Ein unfassbarer Moment“. Und Dani sagte „Ja“.
Jetzt sind die beiden Frau und Herr Kühn, die zusammen das Leben genießen. „Ich freue mich auf jeden Tag. Es kann immer schlechte Zeiten geben“, sagt Kühn, „aber es gibt auch Wege, da herauszukommen.“