Ein Solardach
schreibt Stadtgeschichte
Raumschiff, Neuland oder Kunst? Seit 25 Jahren erhebt sich die „Sonne“ über dem Pavillon –
nun geht es um die Zukunft der Photovoltaikanlage, die mal die größte in Hannover war.

Das Raumschiff ist gelandet: So sah eine der ersten Skizzen des Solardaches von Architektin Marion Voltmer aus.Visualisierung: Marion Voltmer
Hannover. Es geht hoch in das verwaiste Obergeschoss des Pavillon-Kulturzentrums. Durch eine schwere Metalltür, dann führt eine Eisentreppe auf das Dach. „Was für ein starkes Symbol, das war wirklich eine geniale Idee“, sagt Hans Mönninghoff fast ehrfürchtig. Der frühere Umwelt- und Wirtschaftsdezernent der Stadt Hannover steht vor dem mächtigen Solardach, das sich mit seinen blauen Photovoltaikmodulen seit 25 Jahren der Sonne entgegenstreckt.

Auch Professor Bernhard Tokarz freut sich auf das Wiedersehen, der 94-Jährige erklimmt das Pavillondach für ein Erinnerungsfoto. Seine Firma hat damals die mächtige Stahlkonstruktion entworfen, auf dem die Solarpanele ruhen. „Es musste auffällig sein, es sollte wie eine Fahne wirken“, erzählt der Professor, der das Bauwerk und seine Funktion in die Planungen einbezog. „Der Pavillon ist ein Theater. Die Solarmodule auf dem Flachdach sind quasi das Parkett, das runde Schild wirkt wie eine Bühne.“

Architektin Marion Voltmer hatte mit schnellen Strichen die Vision entworfen, die heute den Eingang zur Oststadt prägt. „Es sah aus wie Raumschiff Enterprise“, schwärmt Uwe Kalwar, damals Leiter des Kulturzentrums. Er und ein Kreis von Mitstreitern brannten für das Thema. Ulf Hansen-Röbbel von der Firma Corona Solar gehörte dazu, auch Gerd Pommerien, Experte für erneuerbare Energien, der die Anlage plante.

Doch es gab dicke Bretter zu bohren. „Rechnet sich das?“ Mit dieser Frage wurden die Solar-Pioniere häufig konfrontiert. „Es war Neuland“, sagt Kalwar, „ein Thema für Klima-Enthusiasten“, erinnert sich Mönninghoff an die 1990er-Jahre. 1,1 Millionen Mark sollte die Idee des Ökostadt-Vereins kosten. 450.000 Mark waren allein für die Photovoltaik-Elemente vorgesehen, 350.000 Mark für die Stahlkonstruktion. „Das Gebäude war ja eine Pappschachtel, es hätte nichts ausgehalten“, erzählt Hans Mönninghoff.

Denn wo heute Lesungen, Theater und Konzerte stattfinden, hatte die Kaufhauskette Horten in den 1960er-Jahren einen provisorischen Verkaufspavillon betrieben. Als der markante Flachdachbau abgerissen werden sollte, setzte sich die Bürgerinitiative Raschplatz e.V. mit dem Konzept eines Kulturzentrums durch.

„Der Geist von 1976″, schmunzelt Heiner Schlote, der als Student für diesen Plan kämpfte und heute erster Vorsitzender der Bürgerinitiative ist, die auch Trägerverein der Solaranlage ist. Diesen Geist spürt er noch immer. Deshalb verbringt er seinen 74. Geburtstag auf dem Pavillon-Dach und stöpselt sein Messgerät in eines der 396 Module. „Das geht nur unter solchen Bedingungen“, sagt er und deutet auf den wolkenlosen August-Himmel.

Fast liebevoll spricht er über die 25-jährige Geschichte des Solardaches auf dem Pavillon. „Wind und Wetter, Regen und Schnee. Irre, dass die Module das ausgehalten haben.“ Auf 20 Jahre war die Stromgewinnung auf dem Dach ausgelegt, Schlote geht es nun um die Zukunft. Deshalb verschafft er sich einen Überblick darüber, welche Module noch leistungsfähig sind.

Sein Plan: „Wir kombinieren sie mit neuen Einheiten. Das könnte ein beispielhafter Weg sein, wie man mit alten Anlagen umgehen kann.“ Zumal der komplette Austausch 80.000 Euro kosten würde. Und noch eine Perspektive sieht Schlote: „Die Einspeisevergütung ist längst abgelaufen – wir müssen umstellen auf Eigenbedarf.“ Mit Ladestationen für E-Autos des Sharing-Anbieters Stadtmobil könnte das gelingen. Noch ein Ziel hat er vor Augen: „Speichertechnik, mit der abends Mezzo und Pavillon versorgt werden können.“ Wer das Lokal im Erdgeschoss kennt, wird sich vielleicht über die schrägen Eisenstelen wundern – sie tragen die Stahlkonstruktion des Solardaches.

Am Eingang zu Weißekreuzplatz und Lister Meile leuchtet gelb der „Gorlebenstein“, der an die großen Demos gegen die Castor-Transporte erinnert. „Dieser Ort hat die DNA, um über Energie nachzudenken“, findet der frühere Pavillon-Leiter Uwe Kalwar, der vom Publikum in der Anfangszeit die „Solarmark“ als Spende erbeten hat. „Ein Solardach, das aussieht wie eine Sonne. Wir haben damit eine Menge bewirkt in der Stadtgesellschaft, die Leute sollten über Klima sprechen.“

Das sieht auch Hans Mönninghoff so, der mit der rot-grünen Mehrheit in der Ratsversammlung vor gut 25 Jahren viel bewegen und den Schwung der Expo nutzen konnte. „Es war Aufbruchstimmung.“ Und der richtige Weg: „Mit fast 50 Kilowattstunden war das damals die größte Anlage in Hannover“, rechnet Hansen-Röbbel vor. Und die markanteste.

Widerstand bei den Anwohnern? „Gab es nicht, dafür war es zu gut gemacht“, wehrt Bauingenieur Bernhard Tokarz ab. Er hat für das Wolfsburger Phaeno von Star-Architektin Zaha Hadid die Statik berechnet, doch sein Herz schlägt für das Pavillon-Solardach, das wie eine Sonne über der Oststadt schwebt. „Auf der Documenta in Kassel habe ich es in einem Vortrag als Kunst verkauft. Ich bin heute noch stolz darauf.“



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