Darum ist der Radsport so gefährlich
Zwei Talente aus Hannover schildern ihre schlechten Erfahrungen. ADFC und ADAC kennen die Risiken

Hannover. Ex-Star Jan Ullrich wird Anfang Mai beim Training von einem Auto angefahren. Er zieht sich einen Schlüsselbeinbruch zu, erleidet Prellungen und Hautabschürfungen. Anfang Juli stürzen bei einem Charity-Radrennen in Bispingen in der Lüneburger Heide mehrere Teilnehmer bei dem Versuch, einen Bahnübergang zu überqueren. Ein Fahrer war mit seinem Rad in die Bahnschienen geraten und gestürzt. Sieben weitere Fahrer konnten nicht ausweichen und stürzten ebenfalls. Auch Anfang Juli: Bei der Bahnrad-DM in Dudenhofen kommt es im Keirin-Halbfinale zu einem fürchterlichen Sturz. Zwei Fahrer fliegen mit Tempo 60 in der Zielkurve über die Bande mitten in eine Zuschauergruppe. Es gibt mehrere Schwerverletzte. Mitte Juli: Die Tour de France ist in vollem Gange. Fast täglich kommt es zu Stürzen. Parallel verunglückt der 19-jährige Samuele Privitera bei einem Nachwuchsrennen in Norditalien tödlich.

Der Radsport ist und bleibt eine Risiko-Sportart. Das wissen auch die Fahrer aus Hannover. Zwei von ihnen, Moritz Binder und Hendrik Helml, erzählen von ihren schmerzhaften Erfahrungen.

„Mein letzter Gedanke war der Krankenwagen vor meinen Augen“, erinnert sich Helml. Der damals 17-Jährige wurde bei einem Radrennen in Pattensen schwer verletzt. Kein Einzelfall. Besonders im Straßenverkehr geraten Rennradfahrer immer wieder in gefährliche Unfälle und Konfliktsituation. Schließlich kommt es immer zu derselben Frage: Wer trägt die Schuld?

Im Fall Helml ist die Frage schwierig zu beantworten. Er stürzte bei der Landesverbandmeisterschaft Zeitfahren 2024 in Pattensen schwer. Bei dem Wettkampf fuhren die Sportler und Sportlerinnen auf der Strecke zwischen Pattensen und dem Ortsteil Jeinsen mit kurzen Abständen alleine gegen die Uhr. Wegen eines Fahrradunfalls musste ein Krankenwagen auf die abgesperrte Strecke fahren. „Der Krankenwagen hat direkt hinter der Rechtskurve, schlecht einsehbar, geparkt“, sagt Helml.

Der Hannoveraner war bereits gestartet, als der Krankenwagen auf der Straße parkte. Er sah diesen zu spät, stieß mit Tempo 50 mit dem Rettungsfahrzeug zusammen. Schwer verletzt wurde er ins Krankenhaus gebracht. „An die Fahrt zum Krankenhaus habe ich nur wenige Erinnerungen“, so Helml. Wochenlang konnte er nicht mehr aufs Rad steigen.

Ein weiterer Fahrer raste in die Rückseite des Fahrzeuges und wurde ebenfalls schwer verletzt. Trotz der offensichtlichen Gefahrensituation wurden die Streckenposten nicht auf das Hindernis aufmerksam – der Krankenwagen blockierte weiterhin die Straße. Nach dem Unfall wurde Anzeige gegen den Radsportverband Niedersachsen und den Radsportbezirk Hannover e. V. als Veranstalter erstattet. Diese äußern sich bisher nicht zu dem Vorfall und verweisen auf das laufende Verfahren.

Melvin Bahrmann hat selbst an dem Rennen teilgenommen und kritisiert die Organisation der Veranstalter. „Die Absperrungen und Sicherheitsvorkehrungen auf der Strecke waren nicht ausreichend“, so der Radsportler. Insbesondere die Aufpasser am Rand der Strecke seien ein großes Sicherheitsleck. Die Streckenposten seien ehrenamtliche Helfer, die Gefahren und Geschwindigkeiten der Sportler nicht einschätzen könnten. „Gut wäre es, wenn die Helfer im Voraus vom Veranstalter über die Sicherheitsvorkehrungen auf der Strecke informiert werden“, sagt auch Landestrainer Nikolaj Fuchs.

Das Risiko von Unfällen ist allerdings auch im Straßenverkehr nicht zu unterschätzen. Rennradfahrer stören aus Sicht von Autofahrern den Verkehrsfluss. Regelmäßig kommt es zu waghalsigen Überholmanövern, zu Missverständnissen und gefährlichen Situationen. Im Juni 2024 ereignete sich ein Unfall, der Aufsehen erregte.

Während einer Trainingseinheit überholte ein Autofahrer den Nationalkaderfahrer Moritz Binder in Hemmingen hautnah. „Ich habe mich sehr erschreckt, als er vorbeigefahren ist“, so Binder, der an einer Ampel wieder das Auto passierte und sich vor diesem einordnete. Der erregte Autofahrer versuchte daraufhin, den Sportler auf den Grünstreifen neben der Straße zu drängen.

„Wenn Radfahrer die Radwege nicht benutzen, entsteht eine latente Aggressivität von Seiten der Autofahrer“, sagt Dirk Hillbrecht, Vorstandsmitglied des ADFC Stadtverbandes Hannover. Dadurch komme es immer wieder zu Konflikten und Auseinandersetzungen im Straßenverkehr, die zu schweren Unfällen führen könnten. Hillbrecht kritisiert, dass eine der Ursachen für Konflikte die fehlende Infrastruktur sei. „Die Fahrradwege sind oft schlecht und komisch angelegt“, sagt er. Bei höheren Geschwindigkeiten sei das Unfallrisiko für Rennradfahrer besonders groß. Die Auseinandersetzung von Binder mit dem Autofahrer eskalierte auf einem Parkplatz in Hemmingen. Als der Radsportler sein Handy herausholte, griff der Mann danach. Binder wehrte sich. „Als er mir das Handy wegnehmen wollte, war ich einfach verängstigt. Der leichte Schlag in seine Richtung war ein unüberlegter Reflex“, erzählt der Radsportler. Als der Autofahrer das auf dem Boden liegende Rennrad zur Seite trat, suchte Binder Schutz hinter zwei Personen in der Nähe. „In dieser Situation hatte ich richtig Schiss“, berichtet er. Der Fall ist polizeilich aber im Sande verlaufen.

„Die wichtigsten Aspekte für ein sicheres Miteinander im Straßenverkehr sind Respekt, Rücksicht und Verständnis füreinander“, betont Alexandra Kruse. Die Sprecherin des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt macht vor allem auf die geltenden Verkehrsregeln aufmerksam. „Für Kraftfahrzeuge, die Radfahrer überholen möchten, gilt: Sie müssen einen Mindestabstand zu Radfahrern halten, außerorts sind das mindestens zwei Meter, innerorts 1,50 Meter.“

Kruse betont auch, dass es grundsätzlich nicht verboten sei, wenn Rennradfahrer zu zweit nebeneinander fahren. „Aber auch für Radfahrer gilt das Rechtsfahrgebot. Sie dürfen nicht mitten auf der Fahrbahn fahren, sondern müssen sich möglichst weit rechts halten.“ Rennrad-Landestrainer Nikolaj Fuchs sieht das ähnlich: „An die Regeln im Straßenverkehr muss sich immer gehalten werden. Und wenn Radwege da sind, sollten sie auf jeden Fall genutzt werden.“

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