Anmelderekord an Gymnasien, Förderbedarf steigt: Das kommt auf Hannovers Schulen zu
Rund 300 Seiten dick ist der neue kommunale „Schulentwicklungsplan“ der Stadt Hannover. Wir erklären die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Report.

Die 62 städtische Grundschulen, der Primarbereich an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Roderbruch, der Glockseeschule und der Südstadtschule bieten Platz für bis zu 22.100 Schüler. Foto: Daniel Reinhardt
Hannover. Hat Hannover genug Schulplätze? Welche Klassen sind besonders voll? Und welche leer? Wie entwickelt sich die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap an der Regelschule? Antworten auf diese Fragen gibt der kommunale Schulentwicklungsplan, den die Stadt Hannover seit zehn Jahren herausgibt. Dies sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem jüngsten Bericht, der jetzt veröffentlicht worden ist.■ Trend 1: Anmelderekord an den Gymnasien bringt Stadt in Zugzwang

In diesem Schuljahr haben 54,7 Prozent der Familien sich nach der Grundschule für ein Gymnasium entschieden – so viele wie noch nie. Die Integrierten Gesamtschulen nahmen 33,5 Prozent der Kinder in Jahrgang fünf auf, gegenüber 35,5 Prozent im vergangenen Schuljahr ist dies ein leichter Rückgang. 8,4 Prozent der Fünftklässler wählten eine Realschule und 2,4 Prozent eine Oberschule.

Der Run auf die Gymnasien zwingt die Stadt, weitere Gymnasialplätze zu schaffen. Aber genau hier stockt es. Das 18. Gymnasium, das in Bemerode entstehen soll, war jahrelang geplant worden und soll nun mit sechs Jahren Verspätung ab 2027 erst einmal in Linden starten - was eine Protestwelle ausgelöst hat. Die neue Schule dürfte aber auch nicht ausreichen, um alle Gymnasialwünsche abzubilden.

In dem Bericht heißt es, dass die man Schulplätze doppelt vorhalten müsste, etwa in den unteren Jahrgängen der Gymnasien und den höheren Jahrgängen an den Real- und Oberschulen. Die Nachfrage nach Plätzen an der Oberschule sei in Jahrgang sieben mehr als doppelt so hoch wie zu Beginn der fünften Jahrgangsstufe.

■ Trend 2: Oberschulen platzen aus allen Nähten

Seit zwei Jahren erleben die drei Oberschulen in Hannover einen Schüleransturm ab Jahrgang sieben. Nach Angaben der Stadt sind die Oberschulen derzeit zu 119 Prozent belegt. Sie nehmen die Schüler auf, die die Realschulen, Gesamtschulen und manchmal auch das Gymnasium verlassen. Viele Fachräume mussten in Klassenräume umgewandelt werden. Ob Technik oder Biologie – ordentlicher Fachunterricht sei unter diesen Umständen gar nicht möglich, kritisiert Schulpolitikerin Claudia Bax (Grüne).

Derzeit werden die Oberschulen von 1121 Jugendlichen besucht, davon 277 mit Förderbedarf. Das heißt, jeder vierte Schüler ist ein Inklusionsschüler – der Anteil ist so hoch wie an keiner anderen Schulform. In der Unterstufe sind – anders als an den Gymnasien – noch viele Plätze vakant. In Jahrgang fünf sind es in diesem Schuljahr 135 Schüler, in der neunten Klasse schon 289. In Jahrgang zehn sinkt die Schülerzahl auf 142. Ohne deutliche Investitionen in die Oberschulen dürfte der Anteil der Schulabbrecher weiter steigen.■ Trend 3: Immer mehr Kinder an den Regelschulen haben einen Förderbedarf

Seit Einführung der Inklusion 2013, also dem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Handicap an der Regelschule, wächst die Zahl der Kinder, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, kontinuierlich – laut Stadt um durchschnittlich ein Prozent pro Schuljahr. Der Anstieg hält bis zur neunten Klasse an, danach verlassen allerdings auch viele Schüler mit Förderbedarf ohnehin die Schule.

Unter den Kindern mit festgestelltem Förderbedarf haben die meisten Lernprobleme, danach folgen Schüler mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und emotional-soziale Entwicklung. Die drei Oberschulen haben den höchsten Anteil an Förderschülern, fast jeder vierte Schüler hat einen diagnostizierten Förderbedarf. Der Förderschwerpunkt Lernen wird in Niedersachsen erst ab dem dritten Schuljahr berücksichtigt.

■ Trend 4: Die Zahl der Grundschüler steigt auf über 20.0000

Derzeit gibt es statistisch 19.696 Grundschülerinnen und Grundschüler – tatsächlich sind es nur 18.833, doch wegen ihres Förderbedarfs werden 790 Schüler doppelt gezählt. Vermutlich schon im nächsten Jahr wird die Zahl der Kinder an den Grundschulen die Marke von 20.000 überschreiten.

Aber in Not kommt die Stadt nicht, denn die 62 städtische Grundschulen, der Primarbereich an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Roderbruch, der Glockseeschule und der Südstadtschule bieten Platz für bis zu 22.100 Schüler. Zudem sind Erweiterungen geplant: Die Grundschule Kastanienhof wird vier- statt zweizügig, die Grundschule Tegelweg erhält einen weiteren Zug und zwei allgemeine Unterrichtsräume, auch die Grundschule Mengendamm bekommt zwei weitere Unterrichtsräume. Vermutlich ab 2030/2031 sinkt die Zahl der Kinder an den Grundschulen wieder auf unter 20.000.

75 Prozent der Grundschulen sind inzwischen Ganztagsschulen mit einem täglichen Betreuungsangebot zwischen 7 und 17 Uhr und neun Wochen Ferienbetreuung. An 14 weiteren Schulen gibt es ergänzende Betreuung, teils mit Horten.

■ Trend 5: Neue Schulen müssen langfristig nicht mehr gebaut werden

Nach Jahren des steten Anstiegs ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Hannover in diesem Schuljahr leicht rückläufig. Insgesamt sank die Schülerzahl im Vergleich zum Vorjahr von 51.378 auf 51.216. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Schülerzahl allerdings um 4404 Kinder erhöht. Gründe dafür sind laut Stadt Zuwanderung, geburtenstarke Jahrgänge und die Wiedereinführung des Abiturs nach 13 Jahren an den Gymnasien.

Rund 1100 Flüchtlingskinder aus der Ukraine wurden in den Jahren 2022/2023 und 2023/2024 zusätzlich aufgenommen. Wie viele davon inzwischen wieder in ihre Heimat oder in andere Städte gegangen sind, ist unklar.

In den nächsten Jahren ist zunächst noch mit leicht steigenden Schülerzahlen zu rechnen, gerade weil der Anteil der Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren wächst. Weil die Gruppe der unter Sechsjährigen schrumpft, dürfte langfristig die Zahl der Schüler weiter sinken. Für die Schulstandorte bedeutet dies, dass dann die zahlreichen Container, die an den meisten Schulen schon seit Jahren stehen, abgebaut werden können. Da aber mit dem Ganztagsanspruch ab 2026 die Kinder immer längere Zeit am Tag in der Schule verbringen und mehr Platzbedarf haben, scheinen Schulschließungen ausgeschlossen.
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