War die Expo also ein Flop? „Nein“, widersprach die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) jetzt engagiert in einer Diskussionsrunde zum bevorstehenden Jubiläum. Es sei die erste Expo neuen Typs gewesen, bei der erfolgreich all die Themen diskutiert worden seien, die bis heute aktuell seien – von Ressourcenschutz über Nachhaltigkeit bis zu Fragen des weltweiten Miteinanders. „Wir haben einen globalen Diskussionsraum geschaffen“, sagte Bulmahn.
Mehr als 100 Interessierte sind der Einladung von Volkswagenstiftung und NDR-Info ins Schloss Herrenhausen gefolgt, wo zwei Stunden lang um die Deutung des Großereignisses gerungen wurde. Unter anderem diskutierten mit Bulmahn Hannovers damalige Stadtbaurätin Uta Boockhoff-Gries und der Philosoph Peter Steiner, der das „Haus der weltweiten Projekte“ auf der Expo kuratiert hatte.
„Es war die erste Expo mit dem Thema Nachhaltigkeit“, erinnerte Boockhoff-Gries. Und auch wenn man leider weltweit „nicht viel weitergekommen“ sei bei vielen drängenden Menschheitsfragen wie Bodenmanagement, Wasserhaushalt und Energieverbrauch, so habe Hannover doch „wegweisende“ Lösungen aufgezeigt – etwa mit der für damalige Zeiten enorm fortschrittlichen Expo-Siedlungsentwicklung am Kronsberg.
Philosoph Steiner verwies auf den internationalen Effekt der Expo. Erstmals habe es den Anspruch gegeben, nicht nur eigene Leistungen zu zeigen, sondern den Blick für weltweite Ansätze zu weiten. Dank neuer wissenschaftlicher Netzwerke habe man „plötzlich Lösungen von indigenen Völkern zur Kenntnis genommen“, sagte Steiner. Etwa die alten Kulturtechniken, mit der in Chile der Nebel zur Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt werde. Oder in Brasilien, wo ein Projekt zur Nutzung von Abfall ins Leben gerufen wurde, das heute noch existiere.
Dass die Expo für Hannover ein Erfolg war, ist heute nahezu unumstritten. Im Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung, in dem fast sämtliche Bundesförderung in den Osten floss, profitierte Hannovers Infrastruktur von einem Milliardensegen.
Und der Druck der internationalen Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass tatsächlich alles fertig wurde. 3000 Wohnungen am Kronsberg wurden pünktlich bezogen. Die S-Bahn wurde zur Expo initiiert, eine neue Stadtbahntrasse zum Ostgelände gebaut, die stauträchtige Pferdeturmkreuzung mit der Schnellweg-Unterführung entzerrt.
Und wie das bei bevorstehenden Großereignissen so ist: Sogar der neue Ernst-August-Platz vor dem Hauptbahnhof wurde auf den letzten Drücker vollendet, wie Boockhoff-Gries erinnerte: „Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bahnchef Hartmut Mehdorn haben ihn pünktlich eröffnet, aber wir haben in der Nacht vorher noch kräftig aufgeräumt.“
Mehr als 18 Millionen Besucherinnen und Besucher zählte die Expo schließlich. Doch irgendwer hatte vorher 40 Millionen prognostiziert. „Alle hielten die Zahl für völlig falsch“, schimpfte Bulmahn: „Realistisch waren 20 Millionen, und die wurden fast erreicht.“ Trotzdem blieb, befeuert von Medienberichten aus Hamburg und München, stets ein Gefühl des Scheiterns. Ebenso beim Geld. Offenbar hatte das Management frühzeitig die Hoffnung geweckt, man werde das Großevent kostendeckend abwickeln. Dann aber hatte die Expo laut Rechnungshof umgerechnet gut eine Milliarde Euro Zuschussbedarf. „Es war doch jedem klar, dass solche Veranstaltungen nicht über Eintrittspreise und Lizenzen erwirtschaftet werden können“, ärgerte sich Bulmahn. Vielmehr sei die Weltausstellung „ein Gewinn nicht nur für Hannover, sondern für Deutschland“ gewesen: „Wir waren der Ort, wo über Lösungen nachgedacht wurde.“
Bildreich schilderte Kurator Steiner, wie man damals mit dem Motto „Mensch – Natur – Technik – eine neue Welt entsteht“ Impulse zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit habe setzen wollen. „Alles basierte auf Voraussagen“, sagte Steiner. Seit dem Club of Rome seien die Probleme benannt, und „die Agenda21, beschlossen 1992 beim Rio-Gipfel, wurde quasi zur Handlungsanweisung“. Deshalb auch das Ziel, möglichst alles zur Expo Gebaute nachzunutzen.
Dieser hohe Anspruch wurde zum kommunikativen Verhängnis, weil die Weltwirtschaftskrise die Vermarktung auf dem Ostgelände mit seinen Nationenpavillons lahmen ließ. In Wahrheit war das zwar nur der kleinste Teil, wenn auch öffentlich stark beachtet.
„Mit unserem Konzept, für die Expo das Messegelände zu modernisieren, hatten wir ja ohnehin zwei Drittel der Nachnutzung in der Tasche“, sagte Boockhoff-Gries.
„Ich kenne keine Expo, bei der es jemals solch eine große Nachnutzung gab“, sagte Bulmahn und verwahrte sich gegen das Schlechtreden: „Man muss die Debatte auf die Füße stellen.“