Hannover, die Stadt also, deren Großveranstaltungen seit der Expo 2000 an einer Hand abzuzählen sind. Weil andere Städte größer waren, wie Hamburg bei der angedachten Vergabe der Olympischen Spiele 2024. Oder mehr Luxus-Hotels nachweisen konnten, wie Gelsenkirchen oder Leipzig bei der Fußball-Europameisterschaft 2024. Oder es nötiger hatten, wie Chemnitz bei der Kulturhauptstadt 2025. Oder übervorteilt wurden, wie Karlsruhe bei den World Games 2029. Und zack, da ist es wieder, dieses Gefühl, Hannover zu sein. Um es modern auszudrücken: Underperforming de luxe.
Dieses Gefühl spiegelt einen Lokal-, vielleicht eher noch Fatalpatriotismus, der einen hin- und herreißt zwischen Provinzfürstentum und Metropolenselbstverständnis, zwischen Kleinstadtenthusiamus („Komm schnell, wir sind im Fernehen!“) und Landeshauptstadtlässigkeit („Wir haben immer gewusst, dass wir es können“). Symptome: mitfiebern, wenn einer aus Uetze bei Günter Jauch auf dem Quizstuhl sitzt. Feiern, wenn Popstars wie Tokio Hotel öffentlich Lüttje Lage trinken oder wie Phil Collins vor 20 Jahren 96-Jacken auf der Bühne tragen.
Und dann ist da dieses ständige Zittern vor Vergleichslisten. Den sogenannten Städterankings. Die gibt es in seriös und auf repräsentativen Umfragen oder verlässlichen Daten basierend, die gibt es aber auch zusammengehauen aus „Usermeinungen“, wie heute etwas beschönigend das Wiederkäuen von Social-Media-Kommentaren unbestimmter Anzahl genannt wird. Und auch wenn Hannover da immer wieder abräumt (Fahrradfreundlichkeit, ÖPNV; Stadtgrün, Einkaufsbahnhof, Medizinstandort): Als Lokalfatalist rechnet man selbstverständlich stets mit dem Ärgsten. Wie jetzt gerade. Eine bunt zusammengewürfelte Ranking-Sammlung, vom Portal „stern.de“ unter der wenig feingliedrigen Überschrift „Die schlimmsten Städte Deutschlands“ aufgezählt. Auch hier verzahnen sich, grob gesagt, seriöse Kategorien mit dem, was die Leute so sagen. Es geht darum, wie hässlich die Stadt ist, wie unglücklich oder unhöflich ihre Bewohner sind, und es geht um wirtschaftlich oder polizeilich halbwegs belegbare Kriterien wie Lebenshaltungskosten, Mietspiegel, Kriminalität, Armut oder Stadtflucht. Reflex in Hannover: Da sind wir dabei.
Denn als Hannoveraner pflegt man zu solchen Tabellen eine solide Hassliebe. Man möchte den Namen seiner Stadt eigentlich nicht lesen, aber – ist der Ruf erst ruiniert – ganz leer möchte man bei einer solch exquisiten Sammlung von Abgründen auch nicht ausgehen, auch wenn die hannoversche Spezialdisziplin „Langweiligkeit“ diesmal nicht dabei ist.
Dieses jahrzehntealte Prädikat, verliehen unter anderem in dem Städtebashing-Buch „Öde Orte“ von 1998 und außerhalb der Stadt zum Konsens gereift, hat die Hannoveraner geärgert, hat ihnen aber auch geholfen, entspannt mit Beschimpfungen umzugehen. In der Gewissheit, wie unöde die Stadt außerhalb des Ranking-Universums tatsächlich ist.
Nun liegt es den Menschen in Hannover fern, im Gegensatz zu denen in Köln beispielsweise, sich und ihre urbane Parzelle pausenlos zu feiern. Wenn die Kölner die Gäste vor Heimspielen des FC mit „Willkommen in der schönsten Stadt der Welt“ begrüßen, meinen sie das so. In Hannover ist der durchaus gebräuchliche Claim „schönste Stadt der Welt“ eine feinironische und souveräne Anspielung auf den permanenten Image-Gegenwind.
Das Fell ist dick, die Haut ledern. Hannover bringt nichts aus dem Gleichgültigkeitsgewicht. Nicht mal die Tatsache, dass die Stadt im Fall einer Zombieapokalypse schlecht dastünde, wie eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Studie der Wohnungssuche-Plattform „rentola“ unlängst herausfand. 398. Platz von 402. Hannover kann halt eher Kirchentag als Zombies. Viele Städte würden sofort tauschen.
Ach ja, bei den „schlimmsten Städten“ ist Hannover in keiner Kategorie vorn. Nicht die ärmste Stadt (Gelsenkirchen), nicht die hässlichste (Ludwigshafen), gefährlichste (Frankfurt) oder teuerste (München). Die Unglücklichsten, das hat der SKL-Glücksatlas ermittelt, leben in Rostock, und bei der Unhöflichkeitstabelle (Sieger: Essen) ist Hannover nicht mal in den Top Ten. Ganz im Gegenteil. Bei den höflichsten Städten, ermittelt durch eine Studie der Sprachlernplattform Preply, liegt Hannover hinter Bochum und Bremen auf Platz 3. Da sind wir von uns selbst überrascht. So höflich? Die haben doch keine Ahnung.
Allerdings: Hätte man beim Kirchentag herumgefragt, wäre Hannover sogar Nummer eins gewesen. Und die „Finals“ kommen im nächsten Jahr. Hannover kann das. Bis dahin: höflich bleiben.