Bei archäologischen Ausgrabungen kommt oft Keramik zutage, aber auch Knochen und Stein. Seltener sind Pflanzenreste unter den Funden – doch die Pollen, Samen oder Holzkohlestückchen, oft winzig und nur selten erhalten, können großen Aufschluss geben.
So entnahmen 2022 die Mitglieder einer internationalen Forschungsgruppe Sedimentproben aus der südarmenischen Höhle „Aghitu drei“, die schon vor 40.000 Jahren von Menschen bewohnt worden war, und untersuchten die darin enthaltene Pflanzen-DNA. Sie fanden Nachweise für 43 verschiedene Arten – für beinahe jede davon sei ein Nutzen bekannt, so die Forscherinnen und Forscher, etwa als Lebensmittel, Aroma- oder Farbstoff.
Die Schlussfolgerung: Menschen wussten ihre pflanzliche Umwelt schon in der Steinzeit präzise und vielfältig zu nutzen. Robert N. Spengler ist Archäobotaniker. Der Amerikaner forscht am Max-Planck-Institut in Jena zu prähistorischen Mensch-Pflanzen-Beziehungen. Dafür arbeitet sein Team mit Archäologinnen und Archäologen in Zentralasien, nimmt bei Ausgrabungen in Tadschikistan, Kasachstan oder in der Mongolei Sedimentproben aus jahrtausendealten Feuerstellen oder Abfallgruben. Oft sind es Proben, die andernfalls verloren gehen würden, erklärt Spengler.Die darin enthaltenen Pflanzenreste werten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in monatelanger Mikroskopiearbeit aus. Und können so verstehen, welche Pflanzen prähistorische Menschen aßen, welche sie für Kleidung oder Behausungen verwendeten, welche sie anbauten.
Für eine Frage brennt Rob Spengler besonders: „Mich interessiert, wie die Intensivierung landwirtschaftlicher Systeme die sozialen Strukturen zur Folge hatte, die für die Entstehung der modernen Welt erforderlich waren“, sagt er. Für Spengler ist klar: Mit diesen Entwicklungen begab sich die Menschheit auf den Weg zu den komplexen Gesellschaften, die wir heute kennen. „Die Wahrheit ist, dass heute alles, wirklich alles, auf Landwirtschaft basiert”, ist der Forscher überzeugt. „Während die Landwirtschaft in verschiedenen Teilen der Welt intensiviert wurde, ermöglichte sie es der menschlichen Bevölkerung zu wachsen, Städte und politische Systeme zu entwickeln.”
Den neuesten Erkenntnissen zufolge wurden die Weizenvorgänger Emmer und Einkorn, Gerste sowie später Linsen, Erbsen und Kichererbsen vor rund 12.000 Jahren erstmals in Südasien kultiviert; Reis vor rund 9.000 Jahren im heutigen China; Mais vor etwa 6.000 Jahren in Südamerika. „Fast immer waren es stärkehaltige Pflanzen, Getreide oder Wurzeln, die zuerst kultiviert wurden“, sagt Spengler.
Susanne Jahns ist als Archäobotanikerin beim Land Brandenburg angestellt. Wenn bei Ausgrabungen Pflanzenreste gefunden werden, ist sie diejenige, die die Funde mikroskopisch untersucht und die Pflanzenart bestimmt. Funde, die ganz konkrete Rückschlüsse auf das Leben der Menschen im prähistorischen Brandenburg zulassen. Zuerst auf die Jäger- und Sammler-Kulturen vor rund 10.000 Jahren, die Haselnüsse und die Samen von Seerosen aßen – vermutlich geröstet, wie verkohlte Funde nahelegen. Die Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren sammelten sowie Brennnesseln und Feldsalat.
Die ersten Ackerbauern gab es in Brandenburg ab circa 5.300 vor Christus. Doch ein Getreide, das in Europa heimisch ist, gibt es nicht. Emmer, Erbsen und Lein kamen gemeinsam mit Zuwanderern nach Europa: „Im Nahen Osten in Kultur genommen, dann nach Europa mitgebracht“, fasst Jahns zusammen. In der Bronzezeit kamen Hirse und Dinkel auf demselben Weg dazu. Mindestens acht Mal ist die Landwirtschaft erfunden worden, erklärt Spengler, in unterschiedlichen Teilen der Welt, unter völlig unterschiedlichen Bedingungen. „Die Frage, warum das alles begonnen hat, treibt Archäologen seit mehr als einem Jahrhundert um. Sie impliziert, dass die Menschen damals mit einer Absicht gehandelt haben“, sagt Spengler. „Es handelt sich aber schlicht um die schrittweise Intensivierung von Kulturpraktiken, um einen Prozess, der sich über Tausende Jahre erstreckte. Da gibt es keine menschliche Absicht.“
Der Archäobotaniker hat über dieses Thema ein Buch geschrieben, das im Mai erscheinen soll. Aus dem Englischen übersetzt lautet der Titel: „Der größte Erfolg der Natur. Wie Pflanzen sich entwickelten, um die Menschheit auszunutzen.“ Spenglers Theorie setzt unserem Ansatz, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, während wir die Entwicklung der Landwirtschaft betrachten, einen evolutionär-biologischen Ansatz entgegen.
Statt bewusst Getreide anzubauen und zu züchten, hätten prähistorische Menschen zunächst einen rein praktischen Nutzen für die Wildgräser dargestellt, die im Nahen Osten in Form von essbaren Wiesen Teil ihres Lebensraums waren: Nämlich, indem sie für höhere Erträge andere Pflanzen entfernten oder Fressfeinde fernhielten. Die Veränderungen, die die ersten Getreide daraufhin zeigten, seien Reaktionen auf das durch die Menschen veränderte Ökosystem gewesen, erklärt der Wissenschaftler in seinem Buch. Eine symbiotische Beziehung also: „Weizen wächst dank menschlicher Hilfe beinahe auf der ganzen Welt. Auch wenn wir 99 Prozent seines Nachwuchses aufessen, haben wir dafür gesorgt, dass die Population stabil bleibt und sich ausbreiten konnte“, sagt Spengler. Eine Partnerschaft, so perfekt, dass sie den Rahmen unserer Natur zu sprengen droht. Das zeigt etwa die zu 80% nur als Tierfutter genutzte Sojabohne, die sich dank der Menschen und ihrer Profitgier gerade rapide den Amazonas als neuen Lebensraum erschließt. „Wir mögen es beunruhigend finden, aber aus Sicht der Bohne ist das etwas Gutes“, sagt Spengler. „Dass sie zur Zerstörung eines Ökosystems beiträgt, kann sie nicht vorhersehen.“