Ein fruchtbarer Boden für Plattformen wie Crowdfarming und andere Projekte, die auch in der Großstadt eine Alternative zu Supermärkten sind. Crowdfarming ist eine Internetplattform und App, über die Nutzerinnen und Nutzer sich Bioobst- und -gemüsekisten direkt von den Landwirtschaftsbetrieben nach Hause liefern lassen können. Man kann entweder einmalig bestellen oder ein Monatsabo abschließen. Nutzerinnen und Nutzer können außerdem die Höfe finanziell fördern und erhalten dafür Einblicke in die Abläufe im Betrieb und ihren Anteil der Ernte.
Es ist nicht die einzige Initiative, die Konsumentinnen und Konsumenten direkt mit der Lebensmittelproduktion verbindet und dabei die Zwischenhändler und Supermärkte auslässt. Sogenannte Crowdbutching-Projekte auf Websites wie „Kauf ne Kuh“ bieten Biofleisch per Direktversand oder Selbstabholung an – und zwar von Tieren, die erst dann geschlachtet werden, wenn sich für alle Teile Abnehmerinnen und Abnehmer gefunden haben. Start-ups wie die Teekampagne oder die Kaffeekooperative liefern Produkte von Erzeugerinnen und Erzeugern direkt zu ihren Kundinnen und Kunden und schlüsseln in ihren Onlineauftritten Lieferketten und Preisbestandteile auf.
Einige Biohöfe bieten Kuhpatenschaften an: monatliche Zahlungen im Tausch gegen Milchprodukte und Einblicke ins Leben des „adoptierten“ Tiers. Landwirtinnen und Landwirte finanziell unterstützen, die Herkunft gekaufter Lebensmittel kennen, Einfluss auf Produktionsbedingungen und Anbaumethoden nehmen – das sind die Prinzipien. Und immer mehr Menschen machen mit.
„Solche Projekte tragen dazu bei, dem jetzigen System etwas entgegenzusetzen“, sagt Annette Sabersky. Die Ernährungswissenschaftlerin, Fachjournalistin und Buchautorin setzt sich seit Jahren kritisch mit der Lebensmittelindustrie auseinander. „Man unterstützt Landwirte direkt und nicht über große Konzerne, die die Preise drücken, wo es nur geht.“ In Deutschland beherrschen vier Supermarktkonzerne insgesamt 85 Prozent des Marktes. Zahlreiche Initiativen bemängeln seit Jahren, dass Landwirtinnen oder Landwirte ihre Lebensmittel zu unfairen Preisen verkaufen müssen.
Da bei Crowdfarming die Landwirtinnen und Landwirte ihre Preise selbst festlegen und ihre Ernte auf Nachfrage planen können, haben sie eine bessere Übersicht über die Verkäufe und ein geringeres finanzielles Risiko, so eine Crowdfarming-Sprecherin. Crowdfarming stelle den Bäuerinnen und Bauern zudem die nötige Infrastruktur für den Verkauf, sodass sie „sich vor allem auf die Produktion hochwertiger Lebensmittel konzentrieren können“. In einem Artikel legt Crowdfarming ausführlich dar, dass der Transport ohne Stopps in Lagerhäusern und im Supermarkt einen um 22 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck aufweist. Weil im konventionellen Handel weit größere Mengen auf einmal transportiert werden, lässt sich das vermutlich schwierig gegeneinander aufrechnen.
Das sei aber auch gar nicht der springende Punkt, so Lebensmittelexpertin Sabersky. „In der Kette vom Anbau bis zur Entsorgung ist die CO2-Belastung durch den Transport nicht der größte Faktor. Der liegt in der Landwirtschaft. Die Transporte sind nicht das Hauptproblem, sondern dass ganz viel gepflanzt wird, das gar nicht verkauft wird, und außerdem die unökologischen Anbaumethoden.“ Und Lebensmittelverschwendung wird laut Annette Sabersky bei Modellen wie Crowdfarming stark minimiert.
Vor allem für Produkte, die im Supermarkt wegen ihrer Ökobilanz ohne schlechtes Gewissen nicht kaufbar sind, sei Crowdfarming eine gute Alternative, findet Sabersky. „Mandeln gelten als große Wasserverschwender, und wenn sie aus Kalifornien kommen, dann sind sie das auch“, sagt sie. „Bei Mandeln aus solchen Projekten werden nachhaltige Anbaumethoden genutzt und nur dort angebaut, wo genug Grundwasser vorhanden ist.“ Zudem sei der Geschmack aromatischer.
Saberskys Erfahrungen decken sich mit Kommentaren in einem Kochforum auf der Plattform reddit.com: „Die Avocados sind der Hammer. Sie werden perfekt reif und bleiben reif, nicht so wie das Supermarktzeug, das von steinhart direkt zu faulig übergeht“, schreibt dort ein Nutzer – generell scheinen laut Erfahrungsberichten vor allem Reife und Haltbarkeit der Früchte ein Pluspunkt der Plattform zu sein.
Kein Wunder: Die Früchte liegen nicht wochenlang in Kühlhäusern, sondern warten am Baum darauf, verschickt zu werden. Mit höheren Anbaustandards und dem Verzicht auf künstliche Methoden zur Reifung oder Verlängerung der Haltbarkeit trage das laut Crowdfarming zu einer höheren Produktqualität bei.
Was beim Besuch der Crowdfarming-Website sofort ins Auge fällt, sind allerdings die Preise. Fünf Kilogramm Orangen aus Italien kosten 24 Euro (im Supermarkt 10 bis 15 Euro), zwei Kilo Avocado 23 Euro (im Supermarkt ähnlich). Zwei Hühnerbrüste à 190 Gramm kosten auf „Kauf ne Kuh“ zusammen fast 14 Euro, 240 Gramm Rinderhack 4,95 Euro.
Nach Einschätzung von Sabersky sind genau das jedoch faire Preise. „Weil die Landwirte genug Geld für ihre Arbeit bekommen. Und nachhaltiger Anbau muss natürlich mehr kosten – das sind die versteckten Kosten, die man im Supermarkt nicht bezahlt.“
Was die Expertin damit meint, ist das Konzept der „True Cost“, das der Britische Sustainable Food Trust erstmals 2017 vorstellte. „In Wahrheit sind unsere Lebensmittel viel teurer, als auf dem Preisschild steht. Denn wir zahlen sie nicht nur an der Ladentheke, sondern auch durch Gesundheitsschäden und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen“, so erklärt es das Bundeszentrum für Ernährung auf seiner Website. „Diese unsichtbaren Lebensmittelkosten zahlen wir über Steuern, Abgaben, Krankenkassenbeiträge. Und wir verlagern sie auf die Natur, die Menschen im globalen Süden und auf nachfolgende Generationen.“ Wenn man richtig rechne, seien Bioprodukte günstiger als konventionelle.
Bei allen Crowdfarming-Projekten geht es um ein prinzipielles Umdenken. Doch dem durchschnittlichen Haushalt dürfte es schwerfallen, fünf Kilogramm Orangen mal so eben zu verbrauchen. „Man muss sich mit seinem Essen ganz anders auseinandersetzen“, sagt Sabersky. Seine Mahlzeiten planen. Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln nicht für selbstverständlich nehmen.