Einen großen Teil ihrer Freizeit verbringen die Brüder aus Hannover mit dem Thema Bücher. Denn sie lesen nicht nur gern, sondern sprechen auch darüber. Yannik und Niklas arbeiten beide hauptberuflich im Bereich Medien – und sind nebenbei Booktoker: Jeweils mehr als 7000 Followern auf Tiktok präsentieren sie Rezensionen und Buchtipps.
Die beiden sind mit ihrem Hobby nicht allein. Bücher boomen auf Social Media, das zeigen auch die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, die zuletzt verstärkt mit Tiktok zusammengearbeitet haben. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den Brüdern und dem Gros der Buch-Influencer-Szene: Die ist nämlich weiblich.
Dass es in den Buchsparten der sozialen Medien weniger männliche Content Creator als weibliche gibt, hat einen simplen Grund: Studien zufolge lesen Männer deutlich weniger als Frauen. Der Umfrage „Häufigkeit des Lesens von Büchern nach Geschlecht“ der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse zufolge liegen Frauen beim täglichen, wöchentlichen und monatlichen Lesen vorn. Mehr als die Hälfte Männer gab in der Umfrage aus 2023 an, seltener als einmal im Monat zu lesen. Auch Niklas und Yannik beobachten das. In ihrem Freundeskreis sind sie die einzigen Männer, die gern lesen. „Männer sehen keinen Wert im Lesen“, sagt Yannik.
Dieser Geschlechterunterschied äußert sich nicht erst im Erwachsenenalter. So zeigt etwa die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung von 2023, dass Mädchen im Grundschulalter gleichaltrigen Jungs sowohl bei der Lesekompetenz als auch bei der Motivation deutlich voraus sind – und das nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten der mehr als 60 Teilnehmerstaaten.
„Ein Grund dafür liegt darin, dass den Jungs einfach die Lesevorbilder fehlen“, sagt Anke Märk-Bürmann von der Akademie für Leseförderung in Niedersachsen. Zu Hause würden meist die Mütter vorlesen, auch in der Kita und der Grundschule gebe es deutlich mehr weibliches Personal, das die ersten Leseerfahrungen begleite. Ein großer Faktor sei auch, dass diese Frauen die Lektüre bestimmen. „Da wählt man als Frau tendenziell weniger ein Buch über Technik, Baufahrzeuge oder Feuerwehr.“ So setze sich das Problem immer weiter fort – zuerst mangele es an Interesse, dann an Lesekompetenz. Und habe man in der Schule erst mal schlechte Erfahrungen mit dem Lesen gemacht, komme man auch als Jugendlicher eher nicht auf die Idee, in der Freizeit zu lesen, sagt Märk-Bürmann.
Auch Niklas und Yannik haben nach der Schule lange kein Buch freiwillig in die Hand genommen. Erst vor ein paar Jahren, mit Mitte 20, änderte sich das. Yannik fand über das Lehramtsstudium, das er später abbrach, Gefallen an Klassikern von Franz Kafka und Heinrich Böll. Auch bei Niklas kam die Leselust zumindest indirekt durchs Studium – er schaute ein Video über Soziologie, in dem der Roman „Weißes Rauschen“ von Don DeLillo empfohlen wurde. „Ich habe mich in diesem Charakter wiedergefunden, der sich ein bisschen lost gefühlt hat“, erzählt er. Mit ihrem Buchgeschmack stechen die Brüder unter Männern hervor. Denn was Studien auch zeigen: Wenn Männer denn lesen, dann eher Sachbücher, gern auch Selbsthilfebücher.
„Ich glaube, das hängt mit dem Kapitalismus zusammen“, sagt Niklas. „Es geht einfach immer darum, sich selbst zu optimieren.“ Bei Romanen werde der Wert des Lesens nicht so unmittelbar deutlich wie bei Sachbüchern. „Da lernst du, da und da war dann und dann Krieg, und dann weißt du das. Bei Romanen muss man mehr zwischen den Zeilen lesen, und es ist oft emotionale Arbeit, die man dadurch erlernt“, sagt Niklas.
Seine Theorie: Wer ein eher starres Männlichkeitsbild habe, wolle sich weniger durchs Lesen reflektieren. Dadurch falle es den Männern wiederum schwerer, Empathie zu entwickeln, und das Männlichkeitsbild verfestige sich nur weiter. „Es ist ein Teufelskreis“, sagt Niklas. Diesem Teufelskreis wollen die beiden mit ihren Social-Media-Inhalten etwas entgegensetzen. Wobei Yannik auch einschränkt, dass ihr Content wohl vor allem den Menschen angezeigt werde, die sich ohnehin fürs Lesen interessieren. Anke Märk-Bürmann von der Akademie für Leseförderung sieht die Lösung vor allem im Kindesalter. „Wir arbeiten daran, Lehrkräfte zu unterstützen, ihnen andere Titel vorzustellen und sie für das Thema zu sensibilisieren.“ Denn der Markt biete schon viele verschiedene Bücher, die auch Jungs mehr fürs Lesen begeistern könnten. Noch fehle aber der flächendeckende Zugang an den Schulen, sagt sie.