„Ich weiß nicht mehr, wann ich das erste Mal in meinem Leben eine Leiche gesehen habe“ – bei diesem Satz mögen einige zunächst schlucken müssen, doch Rurik von Hagens sagt genau das bei unserem Besuch im Plastinarium im brandenburgischen Guben. Er ist der Sohn von Gunther von Hagens, der Erfinder der Plastination – eine Art des Präparierens, bei der tote Körper mit Kunststoff gefüllt werden, um sie zu konservieren.
„Der Tod ist für mich noch heute weit weg, doch ich habe ein anderes Bewusstsein zum Körper und für Gesundheit bekommen.“ Von Hagens ist mit den Forschungen seines Vaters aufgewachsen. Für ihn sei sein Beruf immer normal gewesen, doch heute weiß er: „Mein Vater ist ein absoluter Grenzgänger.“
Seit 1995 zieht die „Körperwelten“-Ausstellung bereits um den Globus. Für die Präparate aus echten Körpern gibt es aber auch seither Kritik: Es sei beispielsweise würdelos, tote Menschen so zur Schau zu stellen, besonders in lebensnahen Posen und unethisch, damit Geld zu verdienen. Auch Rurik von Hagens selbst sieht sich häufig mit diesen Vorwürfen konfrontiert: „Ich finde es absolut würdevoll, den letzten Willen der Menschen zu erfüllen.“
Auf die Frage, warum sie die Objekte aus echten Menschenkörpern fertigen, antwortet von Hagens nur: „Warum nicht? Es gibt kein Modell, das so gut ist wie das Original.“ Mit den Jahren sei die Kritik außerdem viel weniger geworden. So hätten weltweit bereits mehr als 56 Millionen Besucherinnen und Besucher die Ausstellung angeschaut und mehr als 95 Prozent habe es gefallen, sagt von Hagens. Die meisten Kritiker seien „sowieso noch nie da gewesen“.
Tatsächlich sehen die ausgestellten Plastinate eher wie Kunststoffmodelle aus. Das hat vor allem mit der Anfertigung der Präparate zu tun. Nachdem die toten Körper in Guben eingetroffen sind, wird vor Ort zunächst der Verwesungsprozess gestoppt. Das passiert, indem Formalin durch den Körper geleitet wird. Diese Formaldehydlösung verhindert das Zersetzen und die Fäulnis des Gewebes.
Danach startet die eigentliche Präparation. Mit Pinzette und Skalpell wird das Ganzkörperpräparat oder auch nur ein bestimmter Körperteil präpariert. Auch Alexandro Navarro sitzt in dieser Werkstatt und arbeitet an dem Präparat eines Kopfes. Er ist gelernter Physiotherapeut. Eine spezielle Ausbildung brauchen die Mitarbeitenden im Plastinarium in Guben nicht. Das einzige, was verpflichtend ist, ist ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl.Navarro mag seinen Job: „Durch die Arbeit hat sich mein Leben verändert. Ich mache jetzt täglich Sport.“ Zu sehen, wie ein kranker Körper aussieht, mache viel mit einem.
Bis ein Objekt fertig ist, vergehen mehrere Monate – bei einem Ganzkörperplastinat kann der Prozess sogar bis zu einem Jahr dauern. Das liegt zum größten Teil an der nötigen Imprägnierung und Härtung. Nachdem das Präparat im Azetonbad entfettet wurde, wird im Vakuum allmählich Kunststoff in den Körper gepumpt. So kann das Präparat in die Position gebracht werden, die es auch in der Ausstellung einnehmen soll. Mithilfe von Gas wird es dann gehärtet.
Die Leichen, die zu einem Plastinat werden, sind Teil des Körperspenderprogramms des Instituts für Plastination in Heidelberg. Die Warteliste ist nach Angaben des Instituts lang. Mehr als 21.000 Menschen haben demnach verfügt, dass ihr Körper nach ihrem Tod in der Ausstellung gezeigt werden darf. Die Gründe dafür seien vielfältig. Laut einer Abfrage des Instituts möchten fast 90 Prozent der Körperspender „einem guten Zweck“ dienen, während mehr als die Hälfte der Menschen ihre Angehörigen lediglich „von der Grabpflege befreien“ möchten. Aber auch die Begeisterung über die Ausstellung geben die Körperspender als Grund für ihre Entscheidung an.
Doch die Körper werden in Guben nicht nur für Ausstellungen haltbar gemacht. Tatsächlich landen nur 5 Prozent der Plastinate in den „Körperwelten“, der Rest wird von Universitäten weltweit in Auftrag gegeben. „Von Anfang an war die Plastination aus einem wissenschaftlichen Gedanken heraus geboren“, sagt Rurik von Hagens. Und das gelte auch heute noch für die Ausstellungen: „Wir sind kein Gruselkabinett oder ein Ort des Gedenkens. Wir sind ein Ort der Aufklärung.“ Anhand der Toten lerne man am besten vom Leben, erklärt von Hagens, „man bekommt einen Einblick in sich selbst, der sonst nirgends möglich ist.“