Der Verein ist das Dach für viele verschiedene Sportrichtungen wie Sambo (eine russisch-sowjetische Kampfkunst), Judo oder Boxen und setzt den Fokus laut eigener Statuten auf soziale Integration, Persönlichkeitsbildung und Selbstbeherrschung. Karlova fing Feuer bei der Arbeit mit den Boxhandschuhen. „Das ist erst mal ein tolles Kardiotraining“, stellte sie nach den ersten Einheiten fest. Schweißtreibend und fordernd. Aber da war noch mehr.
„Es geht nicht nur um Kraft“, stellte Karlova fest. Die Koordination zwischen Händen und Füßen müsse stimmen, das räumliche Denken, um sich im Ring zu positionieren. „Der Kopf kommt dazu. Viele Frauen sind davon überrascht, wie viel Taktik in diesem Sport steckt.“
Auch die psychologische Wirkung des Boxens bemerkte die damals 27-Jährige schnell: „Man baut Stressresistenz auf, wird ausgeglichener im Alltag.“ Und ist gewappnet. „Ich hoffe, dass es nie zu bedrohlichen Situationen kommt“, sagt Karlova, die das Boxen auch nicht als Selbstverteidigungsmethode sieht. Es gehe vielmehr darum, selbstbewusst aufzutreten, ruhig zu bleiben – „das Schlimmste ist Panik“.
Karlova hatte aber auch schnell sportliche Ziele. „Ich wollte mich testen, ich wollte in den Ring.“ Das Problem: Im Verein waren damals fast nur Männer. Und auch wenn eine erfahrene frühere Profiboxerin wie Regina Halmich (47) einen ehrgeizigen Entertainer wie Stefan Raab (58) auf die Bretter schickt – im Hobbybereich „kann man das nicht vergleichen“. Sparringspartnerinnen waren nicht so einfach zu finden, außerdem „fand mein Trainer mich anfangs zu alt für Turniere“, sagt die inzwischen 35-Jährige gelassen. Denn „olympisches Boxen“ habe eine Altersgrenze von 40 Jahren. „Das steht so in den Regeln. Also habe ich ein bisschen Zeitdruck“, scherzt Karlova, die aktuell niedersächsische Meisterin in der Gewichtsklasse bis 70 Kilo ist. Und Boxunterricht mit „Fight like a Woman“ zu ihrem Beruf gemacht hat. Ein Jahr hatte sie bei einer Hannover-Filiale der Berliner Kette Boxing Sisters unterrichtet. Als diese schloss, wollte sie nicht, „dass die Frauen ihr Hobby verlieren“.
Nun ist sie bei Sambo 07 angestellt („Ich mache den Papierkram“), fünfmal die Woche bietet sie Training für Frauen auf zwei Leistungsniveaus und mit unterschiedlichen Schwerpunkten an, die monatlichen Kosten liegen zwischen 50 und 80 Euro.
Wer macht mit? „Ganz unterschiedliche Menschen. Von der Studentin bis zur Frau in Führungsposition.“ Dass eine Frau die Stunden leite, hält sie für entscheidend. „Ich kann diesen Sport anders vermitteln als ein Zwei-Meter-Mann.“ Karlova ist 1,70 Meter groß, wiegt 66 Kilogramm.
Angst haben müsse niemand vor diesem Sport, bei dem strenge Regeln gelten und korrekte Technik wichtig ist. „Ich will die Klischees aufbrechen“, betont sie. „Boxen kann jeder, es kommt nicht auf Alter oder Fitnessgrad an.“ Der Vorteil zu anderen Kampfsportarten wie Judo: „Man wird nicht geworfen“, sagt sie mit einem feinen Lächeln.
Karlova ist gut in Form, sie trainiert täglich bis zu zwei Stunden, „gerne auch mit den Jungs“. Denn Ende November reist sie mit ihrem Trainer Alexey Chistyakov zu den deutschen Meisterschaften im olympischen Boxen nach Halle. Karlova weiß, dass die Uhr tickt, die Altersgrenze näher rückt. „Ich will bis dahin so viel wie möglich erreichen, Erfahrungen sammeln. Boxen macht das Leben interessant“, sagt sie.
Falls sie deutsche Meisterin wird, dann wäre die Europameisterschaft der nächste Schritt, oder? „Das geht nur mit deutscher Staatsbürgerschaft“, weiß die gebürtige Russin, die für das bessere Verständnis ihren Geburtsnamen Anastasiia bereits an das deutsche Schriftbild mit nur einem „i“ angepasst hat. Sie arbeitet daran, zumindest dieses bürokratische Hindernis aus dem Weg zu räumen. „Ich habe ja noch fünf Jahre Zeit ...“