Sie war gerade mal 22 Jahre alt, als sie das Lokal 1984 übernahm: Jutta Gotthardt hatte Sozialpädagogik studiert, nebenbei gekellnert. Weil die Vorbesitzerin das „Safran“ abgeben wollte, sattelte sie um – die Gastronomie wurde zu ihrem Lebenswerk. Wobei die ersten Jahre hart waren. Eine junge unerfahrene Chefin, die 1980er-Jahre, in denen es noch nicht so normal war, an einem Dienstagvormittag frühstücken zu gehen. Gotthardt biss sich durch.
„Ich habe hoch gepokert“, sagt sie auch über die Zeit mit Kleinkind Milon und einem Café, das 365 Tage im Jahr geöffnet hatte. Die Lösung: „Wir sind in eine Wohnung über dem Lokal gezogen.“ Milon erinnert sich: „Ich bin oft im Schlafanzug durch die Küche ins Café. Ich bin hier aufgewachsen. Gastronomie war für mich immer normal.“
Aber nicht das automatische Lebensziel. „Ich habe den Fehler gemacht, nie eine Ausbildung zu machen“, sagt seine Mutter. Ihr Sohn sollte reiflich überlegen, ob der Beruf für ihn infrage käme. Schließlich lernte er Restaurantkaufmann in der „Lieblingsbar“ in Herrenhausen, machte außerdem die Barkeeperlizenz bei der Industrie- und Handelskammer. Nun übernimmt er immer mehr Aufgaben im „Café Safran“, kümmert sich um Dienstpläne und Einkauf.Juta Gotthardt hat die Familienperspektive Kraft gegeben. „Ich habe auf Milon gewartet. Denn Corona war richtig schwer“, sagt die 62-Jährige über die Pandemie und die Lockdowns, die vielen Lokalen in Stadt und Region die Lebensader abgeschnitten haben. Doch die gemütliche Rund-um-die-Uhr-Kneipe an der wuseligen Glocksee hat nicht nur treue Mitarbeitende, sondern auch treue Gäste. „Zu uns kommen drei Generationen“, freuen sich Mutter und Sohn.
Was ist das Geheimrezept? „Unser Essen ist solide und gut“, betont Jutta Gotthardt. An heißen Tagen gibt es Wassermelonensalat mit Schafskäse und Minze, auf der Karte stehen Burger, Kartoffelecken, Pizzen, Schnitzel. Doch das alleine reicht nicht. „So ein Laden steht und fällt mit den Leuten“, schwärmt die Wirtin von ihrem Personal, das zum Teil viele Jahre dabei ist. Und manchmal nicht loslassen kann. Wie die junge Lehrerin, die immer noch Schichten übernimmt, weil sie diesen Job liebt. Eine andere Mitarbeiterin ist mit Milon zur Schule gegangen. „Da geht mir das Herz auf“, sagt Jutta Gotthardt. „In solchen Momenten weiß man, warum es sich gelohnt hat.“
Ihre Gäste bestätigen das auch. Das „Safran“ (seit neun Jahren gehört auch die Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite dazu) ist eine Institution. Anlaufstelle für Frühstück, Mittagstisch, Kaffee und Kuchen am Nachmittag, die schnelle Pizza vor der Party, die Klönrunde mit Kumpels, den Absacker am Wochenende, wenn das Lokal bis drei Uhr geöffnet hat. Dabei ist ihr klar: „Diese Art von Kneipen sind am Aussterben ...“
Viel verändert hat sich in 40 Jahren nicht im „Safran“. Wenn sie das hört, grinst Jutta Gotthardt verschmitzt. „Ich habe den Laden zweimal plattgemacht und renoviert“, erzählt sie. Sie ist stolz darauf, dass selbst Stammgäste die durchaus gravierenden Veränderungen kaum bemerkt hätten. Drei der verschrammten Holztische seien noch Originale aus ihrem ersten Jahr, das restliche Mobiliar wurde ersetzt, gepflegt, liebevoll erhalten. So kennt man das „Safran“: an der hohen Decke Stuck, schlanke Säulen, an den Wänden halbhohe Paneele. „Die waren mal total out“, sagt die 62-Jährige über die Holzverkleidung. Ihr seien Moden aber immer egal gewesen. „Wir wollten nie mit der Zeit gehen.“ Obwohl in den vergangenen Jahren viele Lokale bewusst so eingerichtet wurden, dass sie auf Instagram gute Motive bieten. „Auch Leute Mitte 20, die mit einer anderen Art Gastro aufgewachsen sind, finden uns gut.“ Überhaupt Social Media: „Mundpropaganda ist die beste Werbung der Welt“, findet Jutta Gotthardt. Will aber nicht ausschließen, dass Sohn Milon die Kommunikationsplattform in Zukunft intensiver bespielen wird.
Wie eng die Bindung zwischen Team und Gästen ist, sieht man am besten am Tresen. Da ist eine Wand, gespickt mit Geldscheinen aus aller Welt. „Vor zehn Jahren hat einer einen Dollarschein aus dem USA-Urlaub dahin geklebt“, erzählt die Chefin. Dann kamen kunterbunte Scheine aus Asien, afrikanischen Ländern, Südamerika dazu.
Die Wirtin kramt ein Kuvert aus der Tresenschublade. „Die Leute geben immer wieder Scheine ab.“ Einmal sei sogar ein 100-Euro-Schein dabei gewesen. „Und der war echt.“ So echt wie dieses Lokal, das auf 40 Jahre Tradition zurückblickt.