Deutschrap heißt Jugendkultur: Hiesiger Hip-Hop ist unter U30-Hörern das erfolgreichste Musikgenre und bleibt verwurzelt in einer authentischen Subkultur, die immer mehr auf amerikanische Importe verzichtet (auch wenn sie gerne für Inspiration über den Teich blickt). So bedient sich auch das Heroes- Line-up im deutschen Sprachraum und malt mit einer Breite an Klangfarben.
Stand 2023 noch die Verbindung zwischen den Generationen im Mittelpunkt, ist diesmal vielleicht nur ein Rapper dabei, der die Old-School-Fans begeistert: Kool Savas hat die Szene in den frühen Nullerjahren mitgeprägt und die oft biederen Studentenraps der 90er mit im Battlerap gestählter Spontaneität und Schnelligkeit abgelöst. Ohne Savas gäbe es das halbe Heroes-Line-up nicht. Und obwohl sich das Festival im Ganzen von seinem klassischen Sound abgrenzt, lohnt sich die Gegenüberstellung, zumal Kool Savas technisch vielleicht immer noch der beste Rapper auf den Plakaten ist.
Fast alle der übrigen Heroes sind nicht einmal 30 Jahre alt, und bei Tiktok-Phänomenen wie Freddisson, 1986zig oder OMG, die Cover und Songskizzen lancieren, würde es nicht überraschen, bliebe die Generation Z unter sich. Vielleicht steht die diesjährige Ausgabe eher unter dem Stern einer wachsenden Präsenz von Frauen im Deutschrap. Zwar ist das Line-up noch nicht bei einer ausgeglichenen Proportion, doch eine zweistellige Anzahl weiblicher Acts sind im weiterhin männerdominierten Genre nicht selbstverständlich.
Unter den Headlinern stehen zwei Rapperinnen neuer Schule. Shirin David und Badmómzjay sind nicht unbedingt Rivalinnen, aber doch so groß, dass sich der gemeine Hip-Hop-Fan schon mal auf eine Seite schlagen musste. Beide Rapperinnen kamen zumindest musikalisch aus dem Nichts – David war erfolgreiche Youtuberin – und überraschten mit Debütalben voller selbstbewusster Selbstermächtigungstexte.
Beide stehen für eine neue feministische Grundeinstellung in der Musikindustrie: Shirin David ließ jüngst Thomas Gottschalk auflaufen, als sie darstellte, dass auch Frauen mit künstlichen Fingernägeln Opernkenntnisse haben können. Badmómzjay bringt ein ewig vernachlässigtes queeres Element in die Deutschrap-Industrie, vertritt lange unterdrückte Identitäten in ihren Texten. In jüngeren Songs, Auftritten und Testimonials beider Künstlerinnen schwang allerdings ein unangenehmer Kommerz-Vibe mit, und die feministische Message drohte, in Müdigkeit und Promogeschäften zu verwässern. Ob der Hunger wieder da ist, wird man beim Heroes sehen.
Mit Ufo361 und Reezy stehen zwei Helden der Cloud-Rap-Bewegung auf der Bühne. Der erstgenannte Rapper zeigt sich als wandelbarer Interpret, der Trends aus Nordamerika antizipiert und aus seiner Berliner Heimat eindeutscht. Reezys Sound ist einförmiger, aber vielleicht stimmiger – der Frankfurter ist nicht nur MC, sondern oft sein eigener Beatproduzent.
Beide Rapper könnten energetischer auftreten, als es ihr Image vermuten ließe, strahlen sie doch auf dem Festivalplakat eine fast schon tragikomische Apathie aus. Wirkt ihre Geld- und Frauen-Duo-Thematik manchmal anstrengend, wird es beim Hamburger Gzuz dann wirklich problematisch: Seit wenigen Monaten erst ist der 187-Straßenbande-Honcho wieder aus dem Gefängnis entlassen; auf der Vorstrafenliste stehen sexuelle Belästigung, Überfall, Betäubungsmittel- und Waffengesetzdelikte.
Auf dem Festivalplakat stehen noch ein paar interessante Acts: Babyjoy bringt sommerliche R’n’B- und Soul-Klänge mit dreisprachigen Texten mit aufs Gelände. Dante YN aus Wolfsburg ist ein ernstzunehmender Trap-Künstler, der nicht nur Südstaaten-Sounds nachahmt. Souly tauchte zu Jahresanfang auf einigen Newcomer-Watchlisten auf. LGoony etablierte einst mit ein paar österreichischen Kollegen den Cloud-Rap in Deutschland und macht abseits der Majorlabels frisch klingende Longplayer. Celo & Abdi kennt man aus dem Frankfurter Fahrwasser von Haftbefehl, aber auch von selbst war das Duo stilprägend für deutsche Straßenlyrik.
Wer liefert ein Standardprogramm mit Playback ab, wer die gute, alte Silbenkunst, und wer überzeugt mit origineller Herangehensweise an ein nun doch arriviertes Genre? Das wird man, wenn alles gut geht, beim Heroes 2024 sehen.