Es ist der 24. Januar 2020, 20.30 Uhr. Jörg Uthmann schafft es gerade noch, mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss zu fahren und vor die Tür zu treten. Dann bricht er zusammen. Es ist Winter, es ist kalt, er hat nur Sportsachen an. Ein Passant kommt auf ihn zu und fragt, ob er Hilfe brauche. „Ich bat ihn, mit mir zusammen auf den Notarzt zu warten. Wir haben miteinander geredet, aber ich erinnere mich nicht mehr daran, an was.“
An was er sich aber noch sehr gut erinnert, ist das beruhigende Gefühl, dass dieser Ersthelfer auf ihn ausgestrahlt hat. Das Gefühl, nicht hilflos auf der Straße allein zu liegen, das Gefühl, dass jemand auf ihn aufpasst und auch da bleibt, bis der Notarzt kommt. Der da bleibt, wenn man – wie in Jörg Uthmanns Fall – bewusstlos wird. „Ich wohne direkt in der Innenstadt, da liegt häufiger mal jemand auf der Straße. Ich war sehr froh, dass jemand bei mir war.“
Vier Jahre ist das jetzt her. Trotzdem denkt Jörg Uthmann immer noch häufig an diesen Mann, der einfach für ihn da war. Er würde sich sehr gern bei ihm bedanken. „So etwas passiert ja nicht alle Tage – vielleicht erinnert er sich ja noch daran.“ Dass so viel Zeit verstrichen ist, hat einen Grund: Jörg Uhrmann kämpft sich noch immer ins Leben zurück.
Bei seinem Zusammenbruch kommt der Manager von der Deutschen Messe ins Friederikenstift. Die Ärzte dort denken zunächst, er habe zu viele Drogen genommen und müsse nur seinen Rausch ausschlafen. Doch sein Zustand verschlimmert sich, die Atmung setzt aus. Zeitgleich macht sein befreundeter Arzt aus Kiel Druck, besteht am Telefon darauf, dass er sofort in die MHH verlegt wird. Dort wird die richtige Diagnose gestellt: Jörg Uhtmann hat ein Aneurysma, eine Blutung im Gehirn. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ist diese Krankheit 2009 durch die Moderatorin Monika Lierhaus gekommen. Andere Prominente, die ein Aneurysma traf, sind die „Game of Thrones“-Darstellerin Emilia Clarke, Schauspielerin Sharon Stone, Rockstar Bret Michaels und der in Hannover lebende Künstler Sebastian-Maria Otto.
Sieben Stunden dauert bei Jörg Uthmann die Operation, das Aneurysma sitzt im Kleinhirn, es geht um Leben und Tod. Von dem nächsten Jahr, es ist das erste Jahr mit Corona, bekommt der Patient nichts mit, er liegt im Koma. Als er das erste Mal aufwacht, ist es Januar 2021. Der Arzt begrüßt ihn mit dem Ellenbogen: „Ich habe den für einen Spinner gehalten, warum macht der jetzt einen auf jugendlich und grüßt mit Bodycheck? Ich kam ja aus einer Zeit, wo es das Virus noch nicht bei uns gab.“
Nach dem Koma ist der einstige Marathonläufer nur noch Haut und Knochen. „Aber ich war vorher körperlich fit, durchtrainiert und gesund, sonst hätte ich das sicher nicht überlebt.“ Lange Aufenthalte in Pflegeheim und Reha stehen bevor. Zum Glück haben das Aneurysma und die rettende Operation nicht sein Denkzentrum beschädigt, er ist auch nicht – wie viele Schlaganfallpatienten – halbseitig gelähmt. Aber er kann nicht sicher laufen, ist auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen, es dauert lange, bis ein Impuls vom Gehirn bis in die Beinmuskulatur gesendet wird. Beim Atmen muss er sich konzentrieren, lange musste er künstlich beatmet werden. „Aber ich habe Glück gehabt, dass ich lebe und mein Leben halbwegs eigenständig bewältigen kann.“ Er lebt inzwischen in seiner alten Wohnung, zum Glück ist sie ebenerdig. Seinen alten Job vermisst er. „Es ist die Struktur im Tag, die Aufgaben und die Herausforderungen der Arbeit, die fehlen“, sagt er. Vor seiner Erkrankung war er bei der Messe als Direktor fürs internationale Projektmanagement zuständig, ist in der Welt herumgereist, und gern würde er wieder auf geringer Stundenbasis fest arbeiten.
Und er hat noch ein Ziel: „Irgendwie wieder laufen zu können.“ Er trainiert, geht regelmäßig zur Physiotherapie und ins Sportstudio. Und er hat sich für ein sportliches Event angemeldet: Am 31. August nimmt er am „Herzschläger-Run“ teil, das ist ein Lauf für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen im Erika-Fisch-Stadion.
So trägt er sein Schicksal mit bewundernswerter Haltung und blickt nach vorn. Denn jeder neue Schritt ist ein Schritt in eine neue Zukunft.
Seinem Helfer will er Danke sagen. An die Öffentlichkeit ist er auch gegangen, um mit seiner Geschichte zu sensibilisieren, mehr und genauer hinzuschauen, ob jemand in einer Notlage ist. Denn allein schon, dass jemand in so einer Situation da ist, ist eine große Hilfe.
Wer Jörg Uthmann damals geholfen hat oder aus einer Erzählung den Wohltäter kennen könnte, möge sich mit uns in Verbindung setzen: Telefonisch unter