4,87 Euro pro Quadratmeter beträgt das Sonderopfer. Für eine durchschnittliche 100-Quadratmeter-Wohnung sind das 487 Euro Zusatzkosten im Monat. Damit werden in den acht Monaten bis zum Jahresende 3896 Euro Liquiditätsumlage fällig. Und wie es danach weitergeht, ist im Moment völlig offen.
„Die Leute hier sind verängstigt, auf Dauer lässt sich das für viele nicht durchhalten“, sagt Jürgen Oppermann vom Verwaltungsbeirat. In zähen Verhandlungen wurde die Umlage während der laufenden Sitzung bereits von 6,49 auf die jetzt beschlossenen 4,87 Euro pro Quadratmeter heruntergehandelt – ursprünglich waren sogar 8 Euro veranschlagt gewesen. Von dem Geld werden die Nebenkosten der riesigen leer stehenden Gewerbeareale im Gebäudesockel bezahlt, die von Windhorsts insolventer Firma Projekt Ihme-Zentrum GmbH (PIZ) nicht mehr aufgebracht werden.
Bis 22.23 Uhr tagte die Runde unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Capitol. Übereinstimmenden Berichten von Teilnehmenden zufolge war der Saal voll wie selten: Auch auf der Empore und an der Bar saßen Miteigentümer und -eigentümerinnen.
„Es ist eine lebendige Gemeinschaft, da wird auch lebendig diskutiert“, sagte Hausverwalter Torsten Jaskulski: „Natürlich gab es Kontroversen zu der Liquiditätsumlage und Sorgen, dass einige diese Belastung langfristig nicht stemmen können.“
Juristischer Hintergrund des Dilemmas ist, dass in einer Gemeinschaft alle gemeinschaftlich haften. Wenn einer zahlungsunfähig wird, müssen alle anderen geradestehen. Das kommt zwar in vielen Eigentümergemeinschaften vor. Wenn aber in einem der komplexesten Gebäude Deutschlands der größte Eigentümer die Segel streicht, sind die Auswirkungen dramatisch. Durch die PIZ-Insolvenz fehlen jährlich Millionenbeträge an Neben- und Betriebskosten.
Bei den Wohnungseigentümerinnen und -eigentümern herrscht Verärgerung darüber, dass sie für die gescheiterte Spekulation eines Unternehmers haften müssen – und ein wenig auch Sorge vor der Zukunft. „Das ist ganz furchtbar und eigentlich unfassbar, dass uns so etwas in unserem Staat passieren kann“, sagt die studierte Apothekerin Karin Menges. Es sei „eine große Ungerechtigkeit“, dass jetzt 20 Prozent Privateigentümer auffangen müssten, was durch den Rückzug des 80 Prozent haltenden Großeigentümers fehle. „Es ist zu befürchten, dass etliche Ältere das finanziell nicht durchhalten“, sagt Menges.
Auch Eigentümerin Cordula Paul empfindet die Situation als ungerecht. Sonderumlagen seien in Eigentümergemeinschaften zwar nicht ungewöhnlich. „Aber wir müssen zahlen, ohne dass wir einen Gegenwert bekommen: keine neue Wasserleitung, keine neuen Fenster“, sagt sie. „Mir raubt es ein wenig den Schlaf, dass kein Ende absehbar ist.“ Der Insolvenzverwalter habe „keine Illusion gelassen“, dass das Liquiditätsproblem wohl kaum bis zum Jahreswechsel gelöst sein werde. Die Zahlungspflicht werde also danach voraussichtlich weitergehen.
Der langjährige Wohnungseigentümer Axel Brunngraber sagt: „Wir hatten beim Kauf der Wohnungen darauf vertraut, dass wir solide Vertragspartner wie die Stadtwerke sowie die Nord- und West/LB haben. Mittlerweile sind die Mehrheitsanteile in der Hand windiger Spekulanten.“ Dass private Eigentümer nun die Konsequenzen ausbaden müssten, sei bitter, aber: „Aufregung nutzt niemandem, wir müssen als Gemeinschaft zusammen den Weg gehen.“
Ruheständler Joachim Rademann ist „verärgert über den Zustand, den der nicht investierende Investor Windhorst hinterlassen hat“. Für die privaten Eigentümer sei es „sehr tragisch“, dass sie nun für seine Versäumnisse zahlen müssten. „Ich bin geradezu froh und dankbar, dass ich nur eine Zweizimmerwohnung mit knapp 45 Quadratmetern habe“, sagt der 68-Jährige. Er muss 1738 Euro zahlen: „Bei anderen ist es deutlich mehr, das wird an Existenzen gehen.“
Der vorläufig eingesetzte Insolvenzverwalter Jens Wilhelm berichtete über seine bisherige Tätigkeit. Er arbeitet daran, die Immobilienteile wieder wirtschaftlich zu machen, Mietverträge für Handels- und Gewerbeareale zu schließen, um die Zahlungsunfähigkeit zu beenden, und Käufer zu finden. Verwaltungsbeirat Oppermann geht das nicht schnell genug: „In sieben Monaten ist kaum ein greifbares Ergebnis vorzuweisen.“ Wilhelm verweist auf die Komplexität der Zusammenhänge und darauf, dass es in der Versammlung auch großes „Verständnis für die Situation“ gegeben habe.
In einem Punkt konnte sich Wilhelm durchsetzen. Bisher wurden bestimmte Aufgaben wie die Bewachung des Komplexes und etwa die Unterhaltung von Außenanlagen nur von den Gewerbeeigentümern getragen. Der Grund: Für die Wohnungseigentümer bräuchte es keine derart opulenten Wegebeziehungen im Haus, die einst für riesige Handelsketten wie Huma und Allkauf in den Sockelgeschossen geschaffen wurden.
Trotzdem werden diese Kosten nun langfristig nach dem hausinternen Miteigentumsschlüssel auf alle Einheiten umgelegt. Das vereinfacht dem Insolvenzverwalter das Abschließen neuer Verträge, weil es die Gewerbeareale im Unterhalt billiger macht, rief aber naturgemäß Murren der Wohnungseigentümer hervor. „Nach dem ersten großen Schock setzt das noch einen drauf“, sagte Oppermann. Allerdings erhielt Wilhelm am Ende mehr Stimmen für seinen Vorstoß, als er selbst hat – er muss also durchaus überzeugt haben.
Die Eigentümerversammlung bestätigte ihre Verwaltungsbeiräte Jürgen Oppermann und Erika Obenhaus mit großer Stimmenmehrheit im Amt und brachte zudem Pläne für große Photovoltaikanlagen auf den Weg. Tausende Quadratmeter Dachflächen könnten mit Modulen belegt werden. Allerdings sollen Gutachten zunächst Fragen von Statik und Winddruck klären.